Madame Gazzetta tritt ab

Nach 70 Ausgaben Mitarbeitendenmagazin Gazzetta ist Schluss: Gina Hillbert verlässt nach 30 Jahren das Universitätsspital Basel und geht in Pension. Kurz vor ihrem Weggang beantwortet sie noch die letzten drängenden Fragen von Arbeitskolleginnen und -kollegen.


Alles rund um Sprache liegt wohl in meinen Genen. Als einziges Kind einer aus dem grenznahen Deutschland immigrierten Nord- Süd-Familie in den 60er-Jahren im Gundeli-Quartier aufgewachsen, galt ich schon bald als Bibliotheks-Schreck. Mindestens einmal
wöchentlich schleppte das zarte Kind neue Bücher nach Hause, mit dem Resultat, dass ich früh bebrillt werden musste. Das ganze Taschengeld floss, logisch, in Taschenbücher. Mit 16, von der Hippie-Welle erfasst, im langen Blümchenkleid und manchmal barfuss, träumerisch mit der Gitarre unterwegs, begann ich doppelbödige Kurzgeschichten zu schreiben; die Rebellin in mir wollte raus. Versöhnlicher mit der Welt war dann «Hände halten», mein erstes publiziertes Gedicht. Nach der Matura war klar: Germanistik-Studium und auch dabei wieder eine Menge Bücher.

Aber ich bin eine Macherin. Inspiriert von der Sprachwissenschaft fing ich noch mehr Feuer für meine Muttersprache, vor allem für Mundart und Wortherkunft. Geprägt von meiner Multikulti-Familie, die sich in allen Situationen immer sehr farbig auszudrücken verstand, nahm mein Berufsweg Fahrt auf und ich landete nach einem aufregenden Stage beim Radio Basel nacheinander in verschiedenen internationalen Non-Profit-Organisationen, darunter auch eine im Gesundheitswesen aktive, wo mein mir nachgesagtes Sprachtalent gefragt war. Schon als sehr junger Mensch habe ich viel von der Welt sehen dürfen, auch während beruflichen Einsätzen, die mich sogar nach Australien führten. Heimweh und Fernweh sind meine Geschwister.

Im USB vor 30 Jahren angekommen, waren dann andere Talente gefragt. Ich durfte in der 1991 neu gegründeten Abteilung Interdisziplinäre Weiterbildung Fuss fassen und mich mausern. Eine tolle Erfahrung. Gut zehn Jahre später und nach einer abgeschlossenen PR-Fachausbildung folgte ich dem Ruf in die Direktion, übernahm verschiedene Kommunikationsaufgaben, unter anderem auch für die Gazzetta. Ich hatte keinen leichten Start und musste mich enorm anstrengen, aber ich spürte: Jetzt bist du am richtigen Ort. Die Kunst der Kommunikation wird dich nie mehr loslassen. In diesen Lehrjahren durfte ich Menschen mit Geschichten begegnen und ihnen diese entlocken; das war eine wunderbare Aufgabe. Es blieb stets eine Herausforderung, «fremde» Texte zu redigieren, an ihnen zu feilen, das Beste aus ihnen herauszuholen und sie dennoch authentisch zu belassen. Ich war mit Leib und Seele Blattmacherin und Intranet-Webredaktorin, war es leidenschaftlich gerne für euch, treue Leserinnen und Leser, geschätzte Kolleginnen und Kollegen. Das ist mein letzter Satz im Intro. Punkt.

Wie viele Gazzetta-Ausgaben hast du gemacht?

Es müssten gegen 70 Ausgaben sein. Wenn ich die Gazzetta google (ja, das mache ich manchmal), dann erscheint zuoberst die berühmte rosarote «La Gazzetta dello Sport». Und dann schon die Gazzetta des Unispitals Basel. Das ist doch grossartig! Dass die Gazzetta-Online so richtig in die Gänge gekommen ist, freut mich ausserordentlich. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Also: Klick auf gazzetta-online.ch um noch mehr Antworten (von mir) lesen.

Was war dir in deiner Tätigkeit innerhalb der Kommunikation am USB am wichtigsten?

Mein Bestes zu geben, um Anfragenden weiterzuhelfen, sie zu beraten, sie in allen Belangen zu unterstützen und allen stets wertschätzend zu begegnen. Viele kamen geradezu ehrfürchtig in den Holsteinerhof zum Gespräch, aber ich spürte auch, sie kommen gerne ins Direktionsgebäude, um festzustellen, dass dort auch nur Menschen arbeiten. Wenn immer möglich suchte ich jedoch meine Gesprächspartnerinnen und -partner in ihrer eigenen Arbeitsumgebung auf. Um ihnen danach auf Papier gerecht werden zu können, brauchte ich dieses Stück Atmosphäre.

Welchen gelebten Wert darf das USB, deiner Meinung nach, nie verlieren?

Güte, Menschlichkeit und Freundlichkeit, denn dann kommt auch etwas Gutes zurück. Im Ansinnen verbindend und nicht trennend für die Gemeinschaft unterwegs sein.

Hast du ein Markenzeichen?

Wohl eher ein Faible: Ohne leuchtend roten Lippenstift bin ich nicht so ganz ich.

Auf was kannst du in deinem Leben nicht verzichten?

Nebst meiner sehr kleinen Familie vor Ort auf meine Freundinnen, die mich durch alle Wogen des Lebens tragen und für die ich noch lange da sein möchte, in Freud und Leid, mit Rat und vor allem mit Tat.

Wenn du ein Lebensmittel wärst, was wärst du und wieso?

Ich wäre Brot. Mal salzig, mal süsslich, mal sauerteigig, kernig, weich, knusprig, dunkel, hell, ruch, aber auch altbacken, mitunter nach Anis oder Safran duftend, platt wie ein Fladenbrot, rund wie ein grosses Bauernbrot, schlank wie ein Baguette oder eckig wie ein Wiesentäler Kastenbrot. Einfach Brot, weil es überall auf der Welt Grundnahrungsmittel und deshalb entsprechend variantenreich ist und … weil frisches Brot unvergleichlich gut schmeckt.

Wenn du eine Pflanze wärst, was wärst du und wieso?

Ein Olivenbaum, gewachsen in der Erde meines Vaters in Süditalien. Als Kind bin ich wegen meiner etwas dunkleren Haut oft aufgefallen. Meine Mutter sagte immer, ich hätte einen olivefarbenen Teint wie der Papà. Gesundes Öl, das in meinen Adern fliessen, herrliche Früchte, die ich tragen würde, ein würdiges silbernes Blattwerk und einen urigen Stamm, der mich erdet.

Wenn du ein Tier wärst, was wärst du und wieso?

Wohl ein Schmetterling oder ein Chamäleon. Beim Schmetterling spricht mich die Leichtigkeit und Anmut an, auch die Symbolik passt zu mir. Das Chamäleon imitiert sogar Pflanzen, wechselt seine Farbe je nach Stimmung, ist flink und hat seine Augen überall. Man kann sich anpassen und dennoch sich selber bleiben. Aber ein Waldkäuzchen wäre ich mitunter auch gerne, putzig, stoisch in sich ruhend.

Welchen Touri-Hotspot möchtest du noch sehen?

Das Miniatur Wunderland in Hamburg und bitte mit einer Dauerkarte. Modelleisenbahnen liebe ich, seit ich denken kann. Standen immer auf meinem Wunschzettel, aber das Christkindli hat diese Zeile übersehen. Wie kann sich ein Mädchen auch für Eisenbahnen interessieren …?

Welches Buch würdest du schreiben wollen?

Die Brote dieser Welt. Wenn ich mir vorstelle, wie fantastisch das Recherchieren und Probieren vor Ort wären …

Falls das Buch verfilmt würde: Welche Schauspielerin sollte dich verkörpern?

Wenn überhaupt, dann Vanessa Redgrave oder Glenn Close. Für die jungen Jahre Nora Tschirner.

Wie lautet der Titel deiner Memoiren?

«Genug erzählt.» Aber ich werde mich hüten und stattdessen lieber anderen Menschen zuhören und ihre Geschichten in mein Herz schreiben.

Was würdest du dir für dich wünschen?

Weniger Pflichtgefühl an den Tag legen, dafür mehr Nonchalance. Weniger Kopflastigkeit, dafür mehr Leichtigkeit des Seins und statt Kreativität im Kopf Kreativität im Topf. Ich kann ja jetzt täglich üben.

Welchen Beruf haben sich deine Eltern für dich vorgestellt?

Lehrerin. Mehr gibt’s dazu nicht zu bemerken.

Sammelst du etwas?

Krippen aus aller Welt und Leuchttürme. Beides aus verständlichen Gründen im Miniaturformat. Was mir die Sammlungen bedeuten, würde den Erzählrahmen um ein Vielfaches sprengen.

Mit wem würdest du gerne einen Spaziergang machen?

Am liebsten mit Hildegard von Bingen und Anselm Grün durch einen üppigen Klostergarten wandeln, Kräuter sammeln, zuhören und schweigen.

Wofür in deinem Leben bist du am dankbarsten?

Für die Gabe, mit Menschen in Beziehung zu treten, das Gute zu sehen und daran zu glauben.

Womit hast du in der Schule genervt?

Wir mussten viel auswendig lernen. Ich habe mir immer lange Balladen ausgesucht, was meine Mitschülerinnen genervt und gelangweilt hat.

Und im Unispital?

Na ja, Ähnliches. Bin episch breit, auch mündlich. Und wenn ich dann mal im Redefluss bin, … finde ich den Punkt nicht. Möglicherweise eine Alterserscheinung.

Was konntest du nie gut?

Den Handstand.

Welches ist dein absolutes Lieblingsbuch und warum sollte man es gelesen haben?

Das ist die schwierigste Frage überhaupt. Ich versuch’s mal. Ganz oben auf meiner Lieblingsbuchliste, Kategorie Romane, steht «Sophia oder Der Anfang aller Geschichten». Rafik Schami verbindet darin Orient und Okzident, erzählt von Liebe, die sich keiner Macht beugt. Eine vielschichtig verwobene, wortstarke, poetische und bildreiche Geschichte vor politischem Hintergrund, die dort berührt, wo wir ganz Mensch sind.

Wohin würde es dich jetzt geografisch am meisten ziehen?

Nach Norwegen in die Fjordlandschaft, in ein gemütliches Holzhaus.

Gibt es etwas, das du gerne in der Gazzetta gebracht hättest?

Eine Kolumne, die einen zum Schmunzeln bringt. Augenzwinkernd verfasst von Dr. Kaspar M. Pfläschterli (Pseudonym). Gereizt hätte mich auch eine Ausgabe mit Beiträgen, die alle bekannte Filmtitel tragen. Da in der Kreationsphase meine Fantasie jeweils mit mir durchgegangen ist, musste ich davon absehen.

An wie vielen verschiedenen Arbeitsplätzen hast du in den 30 Jahren am USB gearbeitet?

An der Hebelstrasse 36, im ersten Stock, hat alles begonnen, dann zügelte die damalige Abteilung Interdisziplinäre Weiterbildung an die Klingelbergstrasse 23. Ich wechselte nach rund zehn Jahren in den Holsteinerhof. Damals bestand die Abteilung Kommunikation aus einer einzigen Person, dem Mediensprecher, meinem damaligen Chef. Im Schlösschen gelandet, wechselte ich in den rund 20 Jahren insgesamt vier Mal das Büro, um im Parterre schön auf dem Boden anzukommen und ebenerdig wieder hinaus zu spazieren.

Was war die skurrilste Geschichte, welche du in deiner Zeit am USB mitbekommen hast?

Meine skurrilsten Stunden spielten sich am 10. Februar 2019 ab, am Abstimmungssonntag – Fusion Unispital Nordwestschweiz. Noch etwas verzaubert verliess ich die St. Jakobshalle, wo ich eine traumhafte Veranstaltung besucht hatte. Mein Kollege Tobias und ich hatten abgemacht, dass wir uns am späteren Nachmittag im Holsteinerhof treffen, um die Kommunikation in Gang zu setzen. Es war bereits dunkel, nass-kaltes Wetter, trübe Stimmung und eine seltsame Ruhe dann auch im Holsteinerhof nach dem Nein des Stimmvolkes: «Wir hatten verloren.» Nach intensiven Arbeitsmonaten, die dieser Abstimmung vorausgegangen waren, kam eine Leere über mich. Diese Situation empfand ich als skurril. Der ehrwürdige, geschichtsträchtige Holsteinerhof, wo ich lange Jahre meinen Arbeitsplatz haben durfte, wo im Gartensaal gleich hinter mir im Jahre 1795 der Friedensvertrag zwischen Frankreich und Spanien unterzeichnet worden war, erlebte einen dunklen Sonntag. Und ich sass mittendrin.

Aber es gibt noch eine erheiternde skurrile Geschichte.

Die Geschichte liegt schon lange zurück, aber sie nimmt bei dieser Frage sofort wieder Geschmack an: Für die Gazzetta war ich einst im Bakteriologischen Labor zu Gast, wo ich mir unter anderem so manche ausgestrichene Petrischale und die darin gewachsenen Bakterienkulturen erklären liess. Die Mitarbeiterin des Labors, die mich auf den Rundgang mitgenommen hatte, dachte sich wohl, dass dieses Düpfi, das normalerweise vor dem Bildschirm sitzt, unbedingt einmal das echte Laborleben kennenlernen sollte. Kurzerhand schloss sie mich etwas burschikos in einen kleinen Raum ein. Dort, wo besonders stark und unangenehm riechende Bakterien gelagert waren. Das empfand ich als skurrile Situation, auch etwas unheimlich. Im Text beschrieb ich dann den «etwas strengen Geruch», was die Mitarbeiterin aber gar nicht goutierte. Aber ich blieb eisern bei meiner Formulierung, haftete mir der Geruch doch noch stundenlang hartnäckig an.

Was ist das schönste Kompliment, das dir jemand am USB gemacht hat?

Dass ich stets mit einem Lächeln unterwegs bin.

Rückblickend auf deine Zeit am USB, was war der Moment, welcher dich am meisten bewegt hat?

Als der Chirurg dem Kardiotechniker zuruft: «Aorta auf!», das Herz des Patienten auf dem OP-Tisch von ihm mit sanftem Druck rhythmisch berührt wird, von selbst zu schlagen beginnt, erst zaghaft, dann immer gleichmässiger, wenn alle ein wenig den Atem anhalten und schliesslich eine Klemme den Menschen wieder von der Maschine trennt. Ich war für die Gazzetta mit einem Kardiotechniker unterwegs und durfte bei einer Bypass-Operation dabei sein, sogar mit der Kamera. Der Moment, wenn die Herz-Lungen-Maschine den Patienten wieder «zurückgibt», war magisch. Ein offenliegendes Herz schlagen zu sehen in unmittelbarer Nähe und zu erleben, mit welchem Ansinnen ein routiniertes OPTeam zu Werke geht, hat mich tief bewegt. Das war eine andere Dimension. Ich habe immer noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.

Dein Schlusssatz lautet?

Sprache an sich hat noch keinen Inhalt. Es sind vielmehr erst Geschichten, die Sprache so wertvoll machen.

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