Text von Carole Gröflin
«Wir tragen die Corona-Situation gemeinsam»
Die Pandemie hat die Welt und das Universitätsspital Basel seit über einem Jahr fest im Griff. Am USB wurden unter der Leitung des Teams der Klinik Innere Medizin seit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie Ende Februar 2020 bis Anfang April dieses Jahres bereits über 900 Patientinnen und Patienten stationär behandelt, davon alleine 335 auf der Medizin 6.2., auf die sich die Patientinnen und Patienten aktuell konzentrieren. In der Spitze der zweiten Welle wurden bis zu 70 Patientinnen und Patienten gleichzeitig auf drei Kohortenstationen der Inneren Medizin betreut. Verantwortliche der Kohortenstation auf der Medizin 6.2 blicken auf diese Zeit zurück und wagen einen Ausblick.
ie Station 6.2 ist an diesem Mittwoch Ende März mit acht Personen, die an einer Covid-19-Erkrankung leiden, belegt. Am Eingang macht ein grosses Schild den Ernst der Lage klar: Ab hier ist die Isolationsstation, der Zugang ist nur Berechtigten erlaubt. Die Station ist bereits Epidemieerfahren: Seit zehn Jahren wird eine Kohortenstation für Influenza-Erkrankte eingerichtet. «Wir sind es uns gewohnt, Patientinnen und Patienten zu isolieren», sagt Stationsleiterin Britta Lünenborg. «Doch wussten wir zu Beginn der Pandemie sehr wenig über diese neue Krankheit und den Verlauf.» Die Ungewissheit sei sehr nervenaufreibend gewesen. «Was kommt da auf uns zu?», hat sich im Frühjahr 2020 wohl nicht nur Britta Lünenborg gefragt.
«Es war nicht greifbar, es war alles sehr theoretisch», erinnert sich auch Manuel Wehrle an den Beginn der Covid-19-Pandemie zurück. Das Studium der Epidemie-Handbücher musste der Pflegeexperte MScN immer wieder aufs Neue beginnen. Denn diese wurden mehrmals pro Woche aktualisiert. Auf seiner Station habe man sich schon sehr bald mit möglichen Konzepten befasst. Dann kam der Entscheid, dass die Dermatologie 6.1 und Chirurgie 5.2 im Universitätsspital Basel als Kohortenstationen für Erkrankte mit dem SARS-CoV-2-Virus fungieren werden. Die Abteilung Medizin 6.2 wurde als dritte Kohortenstation eingerichtet. Dafür musste die Logistik für das Schutzmaterial aktiviert werden. Bauliche Massnahmen mussten ergriffen werden: Wo braucht es Türen? Die Signaletik musste durchdacht werden: Wo braucht es Schilder? Wo müssen spezielle Zonen gekennzeichnet werden?
Ständig suchen und immer wieder finden
Die Vorkehrungen wurden getroffen. Doch behandelten die Fachkräfte auf der Abteilung 6.2 bei der ersten Welle zunächst nur wenige Patientinnen und Patienten. Das sei schwer auszuhalten gewesen, da die Spannung schon sehr gross war. Doch man konnte noch nicht selber loslegen und eigene Erfahrungen mit der neuen Krankheit sammeln. «Das war eine sehr beklemmende Stimmung», erinnert sich Lünenborg. «Richtig los ging es für uns
dann im Oktober 2020», erzählt Wehrle. Zu Spitzenzeiten habe man dann aber bis zu 41 Personen auf der Station umsorgt. Es brauche beim Einrichten einer Kohortenstation meist zwei bis drei Wochen, bis alle mit der Situation vertraut seien und wüssten, wo alle Sachen versorgt sind. Und dann kam viel fremdes Personal – von intern sowie von extern. Geschickt wurde Unterstützung vom Merian-Iselin-Spital, vom Bethesda Spital, von den psychiatrischen Kliniken, aus dem Militär und vom Zivildienst. Aus dem eigenen Hause kam Hilfe aus der Tagesklinik, der Chirurgie, der Augenklinik, der HNO, der Abteilung Praxisentwicklung Pflege und viele mehr: «Gefühlt strömten die Menschen aus dem
ganzen Haus zu uns», sagt Lünenborg. Der grosse Support sei überwältigend gewesen. Aber er war auch mit einer gewissen Belastung verbunden: «Es war anspruchsvoll, die fremden Fachkräfte immer wieder neu einzuarbeiten, ihnen unsere Abläufe zu erläutern», gibt sie zu.
So sei es immer wieder eine Herausforderung gewesen, die neuen Mitarbeitenden so einzuplanen, dass sie auf der richtigen Position waren. Manuel Wehrle erläutert: «Das Beispiel einer Hebamme ist mir sehr präsent. Sie eilte aus dem Gebärsaal zu uns und fragte, wo sie bei uns helfen könne.» Nach einigem Abwägen hat man sich dann entschieden, sie für die Sitzwache mit einer älteren Dame einzuteilen. «Sie war sehr zufrieden, das war ein perfekter Match!», erinnert sich Wehrle. So habe jede und jeder immer wieder seinen Platz auf der Kohortenstation finden können. Doch auch die fleissigen, im Hintergrund wirkenden Personen von der Logistik, der Reinigung und dem Facility Management waren unersetzlich: «Sie haben sich alle gemeinsam mit uns für einen reibungslosen Ablauf eingesetzt. Ihnen gebührt mindestens genauso ein grosser Dank wie uns», sagt Manuel Wehrle.
Das Büro vor dem Isolationszimmer
Auf der Station hängen heute Fotos an den Lager-Zimmern: Darauf abgebildet sind Infusionsständer, Abfallsäcke, Abfallsammler, Schutzbrillen oder Schutzmaterial. «Das haben wir angebracht, damit das stationsfremde Personal nicht lange nach dem Material suchen muss», erklärt Wehrle. In der Phase mit derart vielen fremden, immer wieder wechselnden Fachkräften auf der Station stellte Stationsleiterin Britta Lünenborg jeden Tag die gleiche Frage: «Wie geht es euch?» Denn das Zuhören und Ernstnehmen der Kolleginnen und Kollegen sei in solchen Ausnahmesituationen essenziell. «Ich erachte es als klare Aufgabe der Führung, den Puls im Team zu fühlen, damit Probleme proaktiv abgefangen werden können», sagt sie deutlich. Mit diesem Vorgehen sei sie gemeinsam mit dem Kernteam und den temporären Einsatzkräften gut durch die Krise gekommen.
Für einen Fototermin tritt sie mit dem Pflegeexperten Manuel Wehrle und Oberärztin Dr. Codruta Popescu an einen Computer vor den Isolationszimmern. Manuel Wehrle meldet sich an, es werden Patientendossiers angezeigt. «Das ist quasi mein Büro», sagt er verschmitzt. Gewöhnlich würde der PC Wagen ins Zimmer mitgenommen und er könnte sich so im Gespräch mit dem Patienten die Akte anschauen. «Auf der Kohortenstation stehen diese Geräte aber nur auf dem Gang; da muss man sich vorher schlau machen.» Aus Datenschutzgründen wechselt Wehrle den Screen auf das Intranet des USB. Nach wenigen Minuten läutet bei Codruta Popescu das Telefon. «Entschuldigung, ich muss schon wieder weg», sagt sie und huscht davon.
Seit Mai 2020 arbeitet Popescu als Oberärztin der Klinik für Innere Medizin am Universitätsspital Basel. Anfangs war sie auch im Notfallzentrum tätig, wo sie zuerst mit dem Virus in Kontakt kam: «Wir kannten eine Lungenentzündung. Aber wir kannten sie nicht mit diesem Verlauf», sagt sie. Anfang Oktober wechselte sie dann auf die Kohortenstation 6.1 und stand dann immer wieder auch auf 6.2 im Einsatz. «Die Covid-19-Patientinnen und -Patienten sind sehr aufwendig, sie haben Angst, es geht ihnen physisch, aber auch psychisch schlecht. Sie leiden an Hustenattacken und haben während Stunden hohes Fieber, das nur schwer zu senken ist», erzählt sie von ihrer Arbeit. Aber sie betont auch: «Die meisten Patientinnen und Patienten wurden und werden auf der Inneren Medizin behandelt und nicht etwa auf der Intensivstation, wie in den Medien so oft der Eindruck entsteht.» Die Station 6.1 war die erste Covid-Kohortenstation. Auch wenn es dort zuvor keine Kohorten-Erfahrung gab, konnte das Team von 6.2 dann viel von den Mitarbeitenden auf dem gleichen Stock lernen.
Viel Kooperation, viel Verständnis
Die Station 6.2 ist auf alles, was noch kommen mag, eingestellt. Lünenborg: «Wir sind ready.» Kollegin Popescu führt aus: «Seit einem Jahr sind wir auf die grösstmögliche Kooperation angewiesen, es ist ein grosses Geben und Nehmen.» Denn die anderen Stationen kommen für den Mehraufwand auf: Die Stationen 7.1, 7.2, 5.1 und 8.1 sind immer ausgelastet. Während die Kohortenstation Vorfahrt geniesst, stehen die anderen Abteilungen unter Druck. «Unsere Kohorten-Betten fehlen für die anderen Erkrankten», weiss Wehrle. Wenn immer möglich würde man verfügbare Arbeitskräfte an andere Stationen abgeben.
Das Haus und das Team wüssten nun, was auf sie zukommen werde: «Wir haben es akzeptiert und stellen uns bis Ende Jahr auf den Ausnahmezustand ein, vermutlich geht es bis nächstes Jahr», erzählt Manuel Wehrle. Er sagt frank und frei: «Wir waren und sind hier am sichersten. Wir haben das Virus hier auf der Station, doch wissen wir, wie wir uns schützen müssen.» Zudem können sie weiterhin auf die tatkräftige Unterstützung ihrer Kolleginnen und Kollegen zählen. «Wir tragen die Corona-Situation gemeinsam, als ganzes Haus», sind sich die drei unisono einig. Gerade in schwierigen Zeiten zeige es sich, wie wichtig gute Zusammenarbeit sei und wie viele unterschiedliche Berufsgruppen nötig seien, damit der komplexe Spitalalltag funktioniere. «Weil man zusammenhält, kommt man dann auch ans Ziel», ist sich das Dreiergespann gewiss.
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