Gina Hillbert

Wenn der Infekt Fakt ist

Das 2019 gegründete, in seiner Art in der Schweiz einzigartige Zentrum für muskuloskelettale Infektionen hat bereits europaweite Ausstrahlung. Hinter dem Erfolg steht ein eingespieltes Team von Spezialistinnen und Spezialisten verschiedener Fachdisziplinen, das Patienten mit oft langen Leidensgeschichten nach individuellen Konzepten behandelt.

Im Gespräch Prof. Parham Sendi (links) und PD Dr. Martin Clauss, die beiden Leiter des Zentrums für muskuloskelettale Infektionen.

Im Gespräch Prof. Parham Sendi (links) und PD Dr. Martin Clauss, die beiden Leiter des Zentrums für muskuloskelettale Infektionen.

​Sind muskuloskelettale Infektionen so stark verbreitet, dass es am Universitätsspital Basel eigens zu einer Zentrumsgründung gekommen ist?

Clauss: In der Tat nehmen diese Infektionen zu, aber das ist nicht der Grund für die Zentrumsbildung. Es ist die Komplexität, die diese Infektionen mit sich bringen. Die Patienten haben oft eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Deshalb braucht es den Einsatz und das Fachwissen verschiedener medizinischer Disziplinen, um Infektpatientinnen und -patienten zu behandeln. Durch die Bündelung in einem universitären Zentrum kommt ihnen eine optimale, standardisierte und eben multi- und interdisziplinäre Behandlung zu.

Sendi: Zentrumsfunktion ist eine universitäre Aufgabe. Die Stärke liegt darin, dass wir alle Spezialistinnen und Spezialisten gleichzeitig für das gleiche Problem in kurzer Zeit am selben Ort gewinnen können.

Was darf die Patientin oder der Patient erwarten?

Sendi: Der Patient darf sicher erwarten, dass sich mehrere Spezialisten verschiedener Disziplinen um ihn kümmern und dass diese Fachspezialistinnen und -spezialisten sich untereinander austauschen. Er darf ebenfalls erwarten, dass er die gleiche Frage mehreren Spezialisten stellen und, falls es Unklarheiten gibt, diese mit ihnen ausdeutschen kann. Er darf ebenso erwarten, dass er nach der Behandlung ein ambulantes Ansprechzentrum hat, in dem er nachkontrolliert wird. Letztlich darf er erwarten, dass wir die zuweisende Ärztin oder den zuweisenden Arzt von der Vorabklärung bis zur Nachbetreuung miteinbeziehen.

Sie legen grossen Wert auf den Begriff «Team» und sehen sich auch in diesem Gespräch als dessen Vertreter.

Sendi: Ein Zentrum funktioniert nie, wenn es an Einzelpersonen hängt. Wir sind ein Team und wenn einer nicht da ist, dann springt eine andere ein. Wir sprechen in unserem Fall vom Infektiologen und vom Orthopäden, und nicht von Herrn Clauss oder Herrn Sendi. Unsere Zusammenarbeit im Team beruht auf gegenseitigem Respekt. Er ist die Basis unseres Handelns.

Clauss: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Sowohl während als auch nach der Operation – wir treten immer als ein Team auf. Wir beide sind zwar die nach aussen hin sichtbaren Köpfe, aber ohne die dahinterstehenden Teams aus den verschiedenen Kliniken wäre die Aufgabe mitnichten zu bewältigen. Das Zentrum erfährt viel Wohlwollen. Das ist ein gutes Zeichen für unsere Arbeit. Für Patientinnen und Patienten bedeutet das auch: Ein ganzes Team kümmert sich. Alle Sorgen und Nöte kann der Patient getrost bei den verschiedenen Spezialisten deponieren, dieselbe Frage verschiedenen Fachpersonen stellen. Das führt häufig zu sehr fruchtbaren Diskussionen unter uns. Der Patient erlebt, wie das Team interagiert. Blickt man aus verschiedenen Blickwinkeln gemeinsam auf die Patienten, schafft dies doch viel Vertrauen und gibt uns Behandlungssicherheit.

Wie muss man sich die Praxis vorstellen?

Sendi: Die meisten Patienten, die zu uns in die interdisziplinäre Sprechstunde kommen, sind von Pontius zu Pilatus gelaufen. Sie bringen oft lange Leidensgeschichten, Verunsicherung, Ängste und Sorgen um die Zukunft mit. Bei uns im Zentrum erzählt der Patient, oft auch in Anwesenheit seiner Partnerin oder seines Partners, seine Geschichte beispielsweise zuerst dem Chirurgen. Dann ruft mich Martin Clauss ins Sprechzimmer, ohne mir das Geringste über den Patienten zu erzählen. Nachdem mir der Patient seine Geschichte erzählt hat, sage ich, was ich als Infektiologe tun würde. Der Patient ist erstaunt, dass hintereinander zwei Ärzte verschiedener Fachdisziplinen seine Geschichte hören wollen. An dieser Stelle hat seine Geschichte im Zentrum für muskuloskelettale Infektionen ihren Lauf genommen, denn er wird sie in Facetten noch oft und verschiedenen Spezialistinnen erzählen und vertiefen.

Clauss: Man muss sich vorstellen, alle Patientinnen und Patienten gehen durch psychische Krisen, die wir ebenfalls professionell mit einer Psychologin in unserem Team auffangen. Unser Interesse besteht darin, herauszufinden, welche Auswirkungen die intensive Therapie auf die Lebensqualität des Patienten haben wird, ob man messen kann, wie sich die Lebensqualität erhöht, wenn die Behandlung erfolgreich war. In jedem Fall braucht es von allen Seiten Geduld und einen langen Atem. Ich erlebe unser Team in einem dynamischen Prozess. Alle profitieren und lernen voneinander. Kann eine Patientin wieder ohne Stock gehen und sogar ihre Arbeit wiederaufnehmen, dann ist dies unser aller Erfolg. Schwierige Momente und Misserfolg – und diese gibt es leider auch – tragen wir ebenfalls gemeinsam. Auch das spürt der Patient.

Wie strahlt das Zentrum nach aussen aus?

Sendi: Eine wichtige Komponente bei der Aussenwirkung ist das Interdisziplinäre Muskuloskelettale Infekt-Kolloquium (IMSIK), das wir anbieten und zu welchem sich auch niedergelassene Ärzte inklusive Orthopäden mit ihren Patientenfällen anmelden können. Das Interesse, uns im Plenum zu hören, ist gross, werden doch wöchentlich bis zu zehn Fälle angemeldet – mit steigender Tendenz. Von der Grundfrage, ob es sich tatsächlich um einen Infekt handelt, bis zum Therapievorschlag – unsere externen Kollegen erhalten am Infekt-Kolloquium klare Antworten.

Clauss: Den Kontakt zu den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zu verstärken, ist uns besonders wichtig. Wir sehen sie als Teil unseres Teams, denn sie sind für die Behandlungsdauer unverzichtbare Partnerinnen und Partner, mit welchen wir die Therapiemodifikationen engmaschig besprechen können. Insofern sehen wir uns als Anlaufstelle. Unser Zentrums-Service ist in erster Linie die Diagnostik. Es geht zunächst darum, einzuschätzen, wo der Patient in seinem aktuellen Zustand am besten aufgehoben ist. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass das Zentrum für muskuloskelettale Infektionen die Patientenzentrierung sehr ernst nimmt. Die Aussenwirkung unseres Zentrums, auch europaweit, hat bereits gegriffen, denn die Anfragen sind zahlreich und international, die Rückmeldungen positiv. Wir haben noch viel vor.

Wohin geht die Reise?

Sendi: Da wir ein universitäres Zentrum sind, haben wie per definitionem die Aufgabe, unser Handeln zu hinterfragen. Das bedeutet eine Auswertung der Resultate und das wiederum endet in der Forschung. Wir hätten am liebsten, dass jeder Patient in einer Studie wäre, sei es beobachtend, sei es das Endresultat analysierend, sei es in einer prospektiven Interventionsstudie, und dass wir fortlaufend Forschungsresultate produzieren könnten, welche unser Handeln reflektierten.

Clauss: Wir wollen unser Handeln messbar machen und zwar so objektiv messbar machen, dass wir letztlich Konzepte zur Verfügung haben, die wir im Zentrum als Team umsetzen können. Dabei geht es nicht nur um das Was, sondern vor allem auch wie wir unsere Patienten behandeln. Dies jedoch nicht aufgrund unserer Ideen, sondern durch Evidenz und Fakten, die wir selbst wissenschaftlich überprüft haben und die in der Literatur zu finden sind. Um dieses Ziel zu erreichen, benötigen wir klinische Forschungsstrukturen und Ressourcen. Da wir schnell wachsen, liegt dieses Feld momentan leider noch etwas brach.


plusKommentar hinzufügen

Kommentare (0)

Keine Kommentare zu diesem Artikel vorhanden. Sei die/der Erste, der diesen Artikel kommentiert.

vorheriger Artikel
nächster Artikel

Keine Ausgabe verpassen –
Erinnerungsservice abonnieren!