Gina Hillbert

Wenn ich das gewusst hätte!

Was motiviert Pflegende, sich für ein Nachdiplomstudium Intensivpflege zu entscheiden? Ein Spaziergang wird die zweijährige Weiterbildung nämlich nicht. Dazu sprechen wir mit Hans Richter, der in seinen 20 Jahren Studiengangleitung im USB stolze 350 Studierende begleitet hat.

Hans Richter, was motiviert Pflegefachfrauen und -männer zum Nachdiplomstudium Intensivpflege?

Der grösste Motivator ist sicherlich die Aussicht auf fachliche Entwicklung, auf Professionalisierung: mehr wissen, mehr können.

Wie erleben Studierende den Einstieg in die Weiterbildung?

Der Einstieg kann hart sein. In den ersten Monaten hören wir oft Sätze wie «Wenn ich das gewusst hätte!», «Wo war ich eigentlich in meiner Grundausbildung?», «Ich glaub’, ab jetzt sind die Wochenenden gestrichen.»

Aber sie werden doch vorab gut informiert, oder?

Selbstverständlich. Diese Äusserungen werden immer auch mit einem gewissen Schmunzeln gemacht. Schnuppertag und individuelle Beratungsgespräche gehen der Bewerbung voraus, ebenso der Hinweis auf einerseits zwei anstrengende, intensive, aber auch ausgesprochen lehrreiche Ausbildungsjahre im Drei-Schicht-Betrieb. Den Einstieg in die Praxis können unsere Studierenden entweder schon vor oder zum offiziellen Kurs-Start am 1. Mai oder 1. November eines Jahres machen. Sie werden dann durch unser Berufsbildungsteam eingearbeitet. Zusätzlich unterstützen sie schon ab dieser ersten Phase Mentorinnen und Mentoren fachlich und in der weiterführenden Integration in das grosse Team der Intensivstation. Parallel dazu startet die schulische Ausbildung mit den medizinischen, pflegerischen und medizintechnischen Grundlagenthemen.

Wie ist das Nachdiplomstudium Intensivpflege HF strukturiert?

Das USB ist Bildungsanbieter. Die Studiengangleitung sorgt für die Umsetzung des Rahmenlehrplans. Die Weiterbildung umfasst mindestens 900 Lernstunden in zwei Jahren. Sie ist kompetenzorientiert ausgerichtet, deshalb ist die Intensivstation selbst der zentrale Lernort. Dort findet das Lernen in einer absolut authentischen Umgebung statt, die durch keinen anderen Lernort ersetzt werden kann. Die Schule ist der Ort des Wissenserwerbs und einer der Räume, in denen Haltungen weiterentwickelt werden, beispielsweise zu ethischen Fragestellungen.

Können Sie die Entwicklung dieser Weiterbildung skizzieren?

Erste Intensivstationen wurden in den 60er-Jahren eingerichtet. Ärzte unterrichteten damals das Pflegepersonal für die Arbeit auf der Intensivstation. Ärzte waren massgebend am Aufbau des ersten Weiterbildungs-Reglements beteiligt. Und sie leiteten formal bis 2009 die Weiterbildung Intensivpflege. Ein neuer Rahmenlehrplan im Jahr 2009 veränderte die Weiterbildung radikal. Einige Beispiele: Die alleinige Ausbildungsverantwortung hatte fortan der sogenannte Bildungsanbieter. Die Berufsbezeichnung lautet nun Experte Intensivpflege. Im Berufsprofil sind 16 eigenständige Kompetenzbereiche festgelegt. Die Ausbildungsstunden in Praxis und Theorie wurden von 240 auf 900 erhöht. Diese Entwicklung unseres Berufs kann ich seit meinem Diplomerwerb zur Intensiv- und Anästhesiepflege im Jahr 1988 überblicken. Heute, kurz vor dem Ausstieg aus meinem Berufsleben, hoffe ich, dass die Pflege, und damit auch die Intensivpflege, ihren Weg zu einer kooperativen Eigenständigkeit selbstbewusst und beharrlich weitergeht.

Das führt uns zur letzten Frage. Was wünscht sich Hans Richter für die Zukunft?

Ganz persönlich freue ich mich, dass ich mehr Zeit und Energie in mein bürgerschaftliches Engagement in meiner Heimatgemeinde investieren kann. Auf meinem Wunschzettel für die Intensivpflege am USB stehen auch weiterhin wissenshungrige und anstrengungsbereite Studierende, die intensiv und evidenzbasiert pflegen möchten, die Intensivpflege als kooperatives Arbeiten mit unserem Ärztinnen und Ärzte-Team verstehen und die das NDS Intensivpflege als möglichen Entwicklungsschritt hin zu engagierten Vertreterinnen und Vertretern unserer Profession nutzen. Den vielen Menschen, die ich in meinen 28 Jahren am USB kennenlernen und wertschätzen konnte, wünsche ich von Herzen alles Gute und danke allen für ihre wertvolle Unterstützung. Ohne ihr Engagement wären unsere Weiterbildungen Intensiv- und Überwachungspflege in dieser Qualität nicht machbar.

40-jährige Entwicklungsgeschichte

In Schweizer Spitälern wurden in den 60er-Jahren erste Intensivstationen zur Behandlung Schwerkranker eingerichtet. Ärzte initiierten und konzipierten in der Folge Kurse für Pflegepersonal für die Arbeit auf der Intensivstation.

1973 trat das erste «Reglement für die Ausbildung von dipl. Krankenschwestern und Krankenpflegern in Intensivpflege und Reanimation» in Kraft. Es wurde von mehreren Ärzteverbänden und dem SVDK (heute SBK) ausgearbeitet. Die Weiterbildung Intensivpflege war also unter ärztlicher Leitung eine der wenigen Möglichkeiten zur fachlichen Entwicklung für Pflegekräfte. Und sie war dann lange Jahre eine primär medizin- und medizintechnisch orientierte Weiterbildung.

In den 90er-Jahren skizzierten die Neuen Ausbildungsbestimmungen (NAB) des SRK für die Berufsbildung Pflege erstmals eigenständige pflegerische Handlungsfelder, die sogenannten Fünf Funktionen. Nun flossen verstärkt pflegerische Themen in die pflegerischen Lehrpläne ein, auch in die der Intensivpflege.

Ein zweiter Entwicklungsschritt dieser Ära war die Forderung nach erwachsenenbildnerischer Qualifikation des pflegerischen Lehrpersonals. De facto übernahmen in der Folge diplomierte Erwachsenenbildner mit Fähigkeitsausweis in Intensivpflege die Leitung für die Weiterbildung, wobei formal nach wie vor der ärztliche Leiter der Intensivstation auch Leiter der Weiterbildung war.

Der bislang letzte Entwicklungsschritt erfolgte 2009. Die OdA Santé hatte vom SBK die Trägerschaft der Weiterbildungen Anästhesie-, Intensiv- und Notfallpflege (AIN) übernommen und einen neuen Rahmenlehrplan verabschiedet. Dieser neue Rahmenlehrplan veränderte die damaligen Weiterbildungen AIN radikal. Einige Bespiele: Die alleinige Ausbildungsverantwortung hatte fortan der sogenannte Bildungsanbieter, die Ära der ärztlichen Leitung war damit abgeschlossen. Die Berufsbezeichnung lautet nun Expertin/Experte Intensivpflege. Im Berufsprofil sind 16 eigenständige pflegerische Kompetenzbereiche festgelegt. Die Ausbildungsstunden in Praxis und Theorie wurde von 240 auf 900 erhöht. Zusätzlich zu den fachspezifischen Kompetenzen werden in einem NDS AIN auch fachübergreifende Kompetenzen erworben. Somit können schon erbrachte Lernleistungen für ein Anschluss-NDS anerkannt werden.

Diese circa 40-jährige Entwicklungsgeschichte bis 2009 macht klar, warum die heutige Intensivpflege durch enge partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Pflege und Ärzten charakterisiert ist, und warum die Intensivmediziner in der Lehre und Lehrplanentwicklung wertvolle Partner sind und bleiben werden.


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