Editorial

Bis zu 30 Grad Celsius: minus oder plus?

Gehe ich recht in der Annahme, dass wir jeweils ab dem 21. Juni von «Sommer» reden? Das Thema mag für mein Editorial banal sein, aber es beschäftigt mich als etwas kritischen Sprachmenschen punktuell doch sehr. Während der Entstehung der Sommerausgabe der Gazzetta stehen wir noch mitten im Frühling, aber überall ist zu hören und zu lesen: «Der Sommer kehrt zurück.» Ja, wo war er denn vorher? Hat er sich etwa frech eingenistet im Frühling? Und dieser konnte ihn nicht daran hindern, auszubrechen? Welche Naturgewalt auch immer dahinterstecken möge, egal, ob es noch einmal Schnee gegeben hat oder gar Sahara-Sand über die Lande gefegt ist, heute, an meinem Editorial-Schreibtag, ist laut Kalender immer noch Frühling. Punkt.

Und wissen Sie was? Ich missachte für einmal die Jahreszeiten, bin so frei und bringe aus voller Überzeugung in der Sommer-Gazzetta ein abkühlendes Bild. Damit liege ich voll im Trend. Sommerausgabe mit dem kältesten Bild der Welt: Nordpol, bis minus 35 Grad Celsius. Eine Ärztin und ein Arzt aus dem USB mit einer äusserst erwärmenden Geste. Alle, die vielleicht gerade in diesem Lesemoment heisse Celsius-Grade erdulden müssen, springen bitte direkt auf Seite 24, am besten noch mit einem eisgekühlten Getränk in Reichweite. Folglich wünsche ich Ihnen angenehme Lektüre bei für Sie wohltuenden Temperaturen – nicht zu heiss, nicht zu kalt – und einen Sommer, der sich dann nicht bereits in den Herbst verabschiedet hat.


Ihre Gina Hillbert


Gendergerechte

Nachwuchsförderung am USB

Im Sommer 2017 haben Verwaltungsrat und Spitalleitung des USB, gestützt auf die Strategie 2020, ein Gender-Projekt initiiert mit dem Ziel, die Chancengleichheit von Frauen und Männern am USB zu fördern.

Die Führung des Universitätsspitals Basel setzt sich dafür ein, dass Frauen und Männer gleiche Rechte und Entwicklungsmöglichkeiten haben. Dazu gehört unter anderem das explizite Ziel, ein angemessenes Verhältnis der Geschlechter in den verschiedenen Berufsgruppen und in Kader- und Schlüsselpositionen zu erreichen. In diesem Zusammenhang wurden Grundsätze zur Gleichstellungspolitik im USB formuliert, welche als Orientierung für Führungsverantwortliche sowie Mitarbeitende gleichermassen gelten.

Die geplanten Initiativen betreffen verschiedene Karrierephasen und in unterschiedlichem Mass die einzelnen Berufsgruppen in unserem Haus. Ein grosser Handlungsbedarf in Bezug auf die Nachwuchsförderung besteht bei der Berufsgruppe Ärztinnen/Ärzte: Hier ist der Anteil von Frauen im Medizinstudium gegenüber dem Anteil von Ärztinnen in leitender Funktion deutlich grösser. Man spricht in solchen Fällen auch von einer «leaky pipeline», um den absinkenden Frauenanteil auf den verschiedenen Qualifizierungsebenen und Karrierestufen zu bezeichnen. Ziel künftiger Massnahmen muss es deshalb sein, Ärztinnen vermehrt strukturiert und gezielt in ihrer medizinischen Karriere zu unterstützen, um künftig von einem möglichst grossen Talentpool in den verschiedenen Karrierebereichen profitieren zu können. In Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe – bestehend aus Ärztinnen und Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen und Hierarchiestufen – werden die dafür notwendigen Massnahmen definiert und initiiert.

Bereits wurden verschiedene Massnahmen auf Ebene Gesamtspital umgesetzt: Zum Beispiel das Angebot zur Kinderbetreuung wird stetig ausgebaut und es fand eine Überprüfung der Lohngleichheit statt. Das Ergebnis war erfreulich. Die Untersuchung hat ergeben, dass am USB keine strukturelle Lohnungleichheit besteht.


Dr. Catharina Balmelli (37), Oberärztin Frauenklinik Onkologie, schätzt die Unterstützung ihrer Karriereschritte: «Am USB waren Kinder und Teilzeitanstellung kein Hinderungsgrund für meine Karriere.»

Seit 2010 bin ich am Universitätsspital Basel tätig: erst in der Inneren Medizin als Assistenzärztin, ab 2012 in der Onkologie als Spezialassistentin und später als Onkologin. Den Facharztabschluss habe ich in beiden Disziplinen erworben. Nach der Geburt meiner ersten Tochter (2012) konnte ich auf der Onkologie in Teilzeit arbeiten. Trotz Teilzeitpensum fühlte ich mich jederzeit im Team integriert; es war für mich möglich, Familie und Beruf zu kombinieren. Als 2013 meine zweite Tochter zur Welt kam, konnte ich sogar sechs Monate Mutterschaftsurlaub nehmen. Dies ist in meinem Beruf alles andere als selbstverständlich.

Eine Habilitation war nach der Geburt meiner Kinder in den Hintergrund gerückt, da ich mir einen Auslandsaufenthalt nicht mehr vorstellen konnte. Dafür rückte meine Vision einer selbstständigen Tätigkeit in den Vordergrund. Und so konnte ich im Mai 2017 eine eigene Praxis in unmittelbarer Nähe zum USB eröffnen. Parallel dazu arbeite ich niederprozentig im Gynäkologischen Tumorzentrum im Ambulatorium Gynäkologische Onkologie. Ich schätze die Kombination aus Klinik und Praxisalltag sehr.

Es erfüllt mich mit grosser Zufriedenheit, dass ich meinen Wunsch nach Selbstständigkeit mit der Möglichkeit, weiterhin am USB zu arbeiten, verbinden konnte. Als Mutter und Ärztin lebe ich das, was ich mir gewünscht habe. Auf meinem Ausbildungsweg und bei meinen Karriereschritten wurde ich vom USB stets unterstützt.

Mein Tagesablauf

Um 6.00 Uhr klingelt bei uns der Wecker, dann gibt’s Frühstück mit den Kindern. Die ältere Tochter wird anschliessend von meinem Mann in den Kindergarten begleitet, die jüngere Tochter bringe ich um ca. 7.00 Uhr ins Spatzennest, die Kindertagesstätte vom USB. Gelegentlich steht man unter Zeitdruck, da die Kinder sich nicht anziehen wollen oder die Schoggimilch den Umweg über die Kleidung zum Mund nimmt. Dann verzichte ich darauf, meine Haare zu trocknen, und wir stürmen aus dem Haus. In der Klinik/Praxis angekommen, werden erst die E-Mails gelesen, Agenda geprüft und ggf. noch Unterlagen organisiert oder eine Therapie geplant. Um 7.30 Uhr tauche ich in den Arbeitsalltag ab. Natürlich wäre ich für private Notfälle erreichbar, aber meine Aufmerksamkeit gilt nun ganz meinem Job: Patientenkontakte, Untersuchungen, schwierige Gespräche, Chemotherapie- oder Immuntherapieverordnungen – das ist mein tägliches Brot. Diese Multitasking-Funktion bereichert, aber fordert mich auch sehr.

Gegen 18.00 Uhr schaue ich, dass ich alle administrativen Arbeiten erledigt habe. Danach hole ich meine jüngere Tochter im Spatzennest ab. Die ältere Tochter besucht den Kindergarten und wird in ihrer Freizeit glücklicherweise durch die Grosseltern mitbetreut. Gelegentlich kommt mir am Abend noch etwas in den Sinn, das ich erledigen sollte – das wird dann am Abend, nachdem die Kinder im Bett sind, von zu Hause aus erledigt.

Zusätzliche Aufgaben, wie beispielsweise ein Referat, bereite ich in meiner Freizeit vor. Manchmal habe ich auch Bereitschaftsdienst oder es kommt vor, dass ein Patient aus der Praxis am Abend oder Wochenende wegen eines Notfalls anruft. In solchen Situationen bin ich besonders gefordert, in der Mutterrolle gleichzeitig auch als Ärztin zu funktionieren. Auch wenn die Kinder wissen, dass ein Patient am Telefon ist, gelingt es just in diesen Momenten nicht, sie mit Zeichnen oder Ähnlichem abzulenken und man hört am anderen Ende der Leitung, dass im Hintergrund gespielt wird.

Den Ausgleich zum Beruf finde ich bei meiner Familie und meinem Hobby, der Musik. Ich spiele leidenschaftlich gerne Piccolo und engagiere mich als Präsidentin in einer grossen Fasnachtsclique mit rund 200 Mitgliedern.


Fragen an Robert-Jan Bumbacher, Verwaltungsratspräsident, und Prof. Jürg Steiger, Chefarzt Transplantationsimmunologie & Nephrologie, Bereichsleiter Medizin:

Robert-Jan Bumbacher: Ich habe in meinen verschiedenen Führungsaufgaben in der Wirtschaftsprüfungsund -beratungsbranche darauf geachtet und achte auch heute darauf, dass sowohl bei der Rekrutierung als auch bei der Mitarbeiterentwicklung den Frauen die gleichen Chancen gegeben werden. Wenn man die Geschlechterstruktur im Unispital Basel anschaut, sieht man, dass sich diese in einzelnen Bereichen stark verändert: Je höher die Hierarchiestufe, desto geringer ist der Anteil von Frauen. Wir nutzen somit das grosse Potenzial an weiblichen Nachwuchskräften zu wenig. Es ist mir wichtig, dass wir einerseits die richtigen Rahmenbedingungen schaffen – zum Beispiel flexible Arbeitsmodelle, Arbeitsorganisation oder Kinderbetreuung – und andererseits versuchen, die gesellschaftlich bedingten Stereotypen bei den Anstellungen und den Beförderungsentscheiden zu durchbrechen.

Jürg Steiger: Die Frauen haben ein sehr grosses Potenzial an Schaffenskraft, Ideen und auch Innovation. Es ist deshalb wichtig, dass unser Spital diese Schaffenskraft, welche weit mehr als 50% der Belegschaft betrifft, nutzt.

Robert-Jan Bumbacher: Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass gemischte Teams ausgeglichen diskutieren und zu ausgewogenen Entscheidungen kommen. Ich finde dies sehr bereichernd! Es ist mir ein Anliegen, beiden Geschlechtern die gleiche Chance für die persönliche Entwicklung zu ermöglichen. Gleichzeitig vergrössern wir den Pool von geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten für eine medizinische, pflegerische, akademische oder Management-Karriere und machen es dadurch möglich, in einem von zunehmender Personalknappheit belasteten Arbeitsmarkt genügend qualifizierte Nachwuchskräfte zu entwickeln.

Jürg Steiger: Frauen und Männer sind unterschiedlich in ihrer Wahrnehmung und auch in ihrem Handeln. Dadurch sehen Frauen gewisse Probleme früher und können deswegen auch früher handeln. Dies bringt für einen Betrieb grosse Vorteile mit sich. Ein weiterer Punkt ist, dass Frauen gewisse Fragestellungen anders als Männer lösen. Gerade in sozialen Fragestellungen, wie zum Beispiel in Fragen der Zusammenarbeit, entscheiden sie oft besser und das kann wiederum Vorteile für ein Spital mit sich bringen. Generell zeigen Studien, dass Firmen, bei denen Frauen in Führungspositionen sind, verschiedene Vorteile haben.

Robert-Jan Bumbacher: Ich kann nicht verstehen, dass man Gegner der gendergerechten Nachwuchsförderung sein kann. Allerdings habe ich Verständnis dafür, dass die Stereotypen nicht einfach zu durchbrechen sind. Ein Blick auf die demografische Entwicklung und die deutliche Untervertretung von weiblichen Nachwuchskräften zeigt, dass wir ein grosses Potenzial noch nicht ausschöpfen. Gelten für beide Geschlechter die gleichen Rahmenbedingungen und Chancen, gewinnen alle; es gibt keine Verlierer.

Jürg Steiger: Ein wichtiger Punkt ist, dass sich Frauen und Männer anders «verkaufen». Männer sind weniger selbstkritisch als Frauen und können sich in einem Vorstellungsgespräch besser darstellen. Frauen sind selbstkritischer und sehen deshalb ihre Fähigkeiten in einem kritischeren Licht. Obwohl eine gewisse Zurückhaltung bei der Kommunikation der eigenen Fähigkeiten und auch eine gewisse Selbstkritik sinnvoll sind, muss man die Frauen in unserer Gesellschaft eher auf ihre Fähigkeiten hinweisen, damit sie den Mut und auch das Selbstvertrauen haben, diese umzusetzen. Man muss somit Frauen bewusster und aktiver fördern. Ein weiteres Problem ist, dass die Evaluation von Kaderstellen für Männer ausgelegt ist. Hier müssen differenziertere Verfahren, bei welchen die oben genannten Punkte berücksichtigt werden, entwickelt werden.

Jürg Steiger: Frauen weisen im Umgang mit Patientinnen und Patienten in der Regel eine sehr hohe Empathie auf. Die Patientinnen und Patienten fühlen sich dadurch häufig besser verstanden.


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