Editorial

Bis zu 30 Grad Celsius: minus oder plus?

Gehe ich recht in der Annahme, dass wir jeweils ab dem 21. Juni von «Sommer» reden? Das Thema mag für mein Editorial banal sein, aber es beschäftigt mich als etwas kritischen Sprachmenschen punktuell doch sehr. Während der Entstehung der Sommerausgabe der Gazzetta stehen wir noch mitten im Frühling, aber überall ist zu hören und zu lesen: «Der Sommer kehrt zurück.» Ja, wo war er denn vorher? Hat er sich etwa frech eingenistet im Frühling? Und dieser konnte ihn nicht daran hindern, auszubrechen? Welche Naturgewalt auch immer dahinterstecken möge, egal, ob es noch einmal Schnee gegeben hat oder gar Sahara-Sand über die Lande gefegt ist, heute, an meinem Editorial-Schreibtag, ist laut Kalender immer noch Frühling. Punkt.

Und wissen Sie was? Ich missachte für einmal die Jahreszeiten, bin so frei und bringe aus voller Überzeugung in der Sommer-Gazzetta ein abkühlendes Bild. Damit liege ich voll im Trend. Sommerausgabe mit dem kältesten Bild der Welt: Nordpol, bis minus 35 Grad Celsius. Eine Ärztin und ein Arzt aus dem USB mit einer äusserst erwärmenden Geste. Alle, die vielleicht gerade in diesem Lesemoment heisse Celsius-Grade erdulden müssen, springen bitte direkt auf Seite 24, am besten noch mit einem eisgekühlten Getränk in Reichweite. Folglich wünsche ich Ihnen angenehme Lektüre bei für Sie wohltuenden Temperaturen – nicht zu heiss, nicht zu kalt – und einen Sommer, der sich dann nicht bereits in den Herbst verabschiedet hat.


Ihre Gina Hillbert


Destination Georgien

Chapidze Heart Center Tiflis

Die Möglichkeit packen, wenn sie sich einem bietet, unbedingt. Das ist meine Devise.

Ich, Urs Zenklusen, habe nicht gezögert, als ein weiterer Transport zweier im USB nicht mehr gebrauchter Herz-Lungen-Maschinen nach Tiflis, ans Chapidze Heart Center, anstand. Prof. Friedrich Eckstein, unser Chefarzt Herzchirurgie, hielt den Kontakt zu Georgien stets aufrecht. Als er mich fragte, ob ich nach Tiflis reisen würde, sagte ich sofort zu und gab gerne ein paar Ferientage für diesen Einsatz daran. Ich sollte also die Maschinen vor Ort funktionstüchtig machen und dabei unter anderem Prof. Ecksteins Kollege in Tiflis, Prof. Zviad Bakhutashvili und sein Team kennenlernen und an unseren Herz-Lungen-Maschinen einarbeiten.

Die Herz-Lungen-Maschinen aus dem USB kommen unversehrt nach einer langen Reise in Tiflis an.

Die Herz-Lungen-Maschinen aus dem USB kommen unversehrt nach einer langen Reise in Tiflis an.

Die zwei Maschinen wurden noch im Dezember 2017 verladen und auf dem Landweg losgeschickt. Sie sind Ende Januar in Tiflis eingetroffen, wo sie auf mich warteten.

Am 5. März 2018 bin ich um 5 Uhr morgens in Tiflis angekommen und aufs Herzlichste willkommen geheissen worden. Nach dem Mittagessen wurde ich dann in den OP geführt, wo ein Patient bereits anästhesiert auf die Operation wartete. Da war ich doch etwas überrascht, dass ich in nur 30 Minuten die Herz-Lungen-Maschine installieren sollte, damit sie einwandfrei funktioniert. Während meines Aufenthaltes war ich jeweils von 9.00 bis 19.00 Uhr in der Herzklinik. Was ich dort, aber auch sonst, erleben durfte, hat mich sehr beeindruckt – am allermeisten die Warmherzigkeit meiner Kollegen.

Mein Berufskollege in Tiflis: Dr. Levan Tsertsvadze ist Chefkardiotechniker und hat eine Ausbildung als Arzt. Er weiss genau, wie eine Herz-Lungen-Maschine funktioniert.

Mein Berufskollege in Tiflis: Dr. Levan Tsertsvadze ist Chefkardiotechniker und hat eine Ausbildung als Arzt. Er weiss genau, wie eine Herz-Lungen-Maschine funktioniert.

Die Arbeit hat einen hohen Stellenwert. Prof. Zviad Bakhutashvili und sein Teamarbeiten fast rund um die Uhr – einer seits als Chirurgen und dann, nach Kleidungswechsel auf Blau, sind sie in der Intensivstation im Einsatz und haben zudem Nachtdienst.

Die Arbeit hat einen hohen Stellenwert. Prof. Zviad Bakhutashvili und sein Teamarbeiten fast rund um die Uhr – einer seits als Chirurgen und dann, nach Kleidungswechsel auf Blau, sind sie in der Intensivstation im Einsatz und haben zudem Nachtdienst.


Ich habe extrem viel gelernt durch meinen Aufenthalt in Tiflis. Das Herz-OP-Team geht sehr pragmatisch vor, auf eine Art puristisch, weil es sich aufgrund der Materiallage einfach keinen Schnickschnack leisten kann. Wir am USB haben ein unendlich grosses Materialsortiment für alle Eventualitäten und somit viele Möglichkeiten, bei Problemen eine Lösung zu finden. Dort habe ich mit eigenen Augen gesehen, dass es Patienten gibt, die schon monatelang auf der Intensivstation liegen und beatmet werden müssen. Um ihnen eine Heilungschance zu bieten, fehlt entsprechendes Material. Tief beeindruckt hat mich, wie viel die Ärzte arbeiten (insgesamt zwei Ärzte und vier Assistenzärzte). Sie wechseln sogar die Farbe: Im OP tragen sie Grün, dann wechseln sie auf Blau für die Arbeit auf der Intensivstation und haben dann erst noch Nachtdienst. Irgendwo in einem Raum steht ein Bett in der Ecke. Trotz dieses hohen Einsatzes strahlen sie extrem viel Enthusiasmus aus. Ihr Einsatz ist total und geht sogar bis zur Deckung eines finanziellen Defizits durch Abgabe eines Teils des Lohnes.

Wir beiden Berufskollegen verstehen unsprächtig: Levan (rechts) und ich.

Wir beiden Berufskollegen verstehen unsprächtig: Levan (rechts) und ich.

Zurück in der Schweiz: Ich habe zwei Herz-Lungen-Maschinen und vor allem Herzens-Freunde zurückgelassen. Mein Aufenthalt in Tiflis hat bei mir seine Spuren hinterlassen, ist mir tief ins Herz gegangen. Die Bande sind geknüpft. Noch dieses Jahr bin ich als Referent bei der Georgischen Gesellschaft für Anästhesie am Jahreskongress in Batumi eingeladen. Dann treffen wir uns wieder. Was mich sehr zufrieden stimmt: Inzwischen ist die nächste Lieferung wohl bereits in Tiflis eingetroffen: Dringend benötigte Filter, die wir wegen des Ablaufdatums nicht mehr einsetzen dürfen, und teure Einwegkanülen, die wir hier einmal brauchen dürfen, jedoch in Georgien mehrmals benutzt werden können. Dieses Material rettet Leben und dafür bin ich mit Herz unterwegs – hier am USB und nach und nach auch in Georgien.


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