Editorial

5G-Netz

Nun ja, das 5G-Netz verspricht mehr Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit. So weit, so gut. Derweil häufen sich Stimmen, die das Entschleunigen empfehlen und davor warnen, das Leben nur auf Leistung auszurichten. Letzteres könne krank machen. Die 5G-Zuverlässigkeit lasse ich mir jedoch gefallen, insbesondere diejenige von Mensch zu Mensch.

In einer Krankheitssituation wünsche ich mir, dass ich schnell weiss, woran ich bin. Es stärkt mein Vertrauen in die Leistungsfähigkeit von Fachpersonen, die sich meiner im Krankheitsprozess annehmen, wenn zuverlässige Ergebnisse und ein auf mich zugeschnittener Behandlungsplan nach kurzer Zeit vorliegen. Das ist umso wichtiger, weil ich vielleicht von einem Tag auf den anderen nicht mehr so schnell und leistungsfähig im Leben stehe wie bis anhin, sondern angeschlagen oder eingeschränkt bin.

Erfahren Sie im Titelthema, was die Palliative Care in unserem Spital für schwer kranke Patientinnen und Patienten leistet und mit welchem Ansinnen ein interprofessionelles Team diese Aufgabe erfüllt. Ein kleines Paradies mit Heilwirkung findet ein an Knochenmarkkrebs erkrankter Patient und spürt dort, dass sein tief verwurzeltes Leistungsdenken revidiert werden müsste (Seite 10). «Es fällt mir schwer, Worte zu finden ...», das sagt eine Patientin vier Jahre nach der Diagnose Gebärmutterkrebs in der Pflegeberatung der gynäkologischen Onkologie. Dort ist Raum für sensible Themen. Den Beitrag finden Sie auf den Seiten 20–21.


5Gs wünsche ich Ihnen: 5 Mal «G» wie Gesundheit und ein Mensch-zu-Mensch-Netzwerk, das Sie schnell und zuverlässig auffängt.


Ihre Gina Hillbert


Mit der Kamera

gegen den Koller

Der 63-jährige Journalist Walter Brunner hat den Spitalgarten entdeckt. Nicht ganz freiwillig: Er war als Patient ins Unispital gekommen. Die wenigen freien Stunden verbrachte er mit dem Fotoapparat im Spitalgarten – und fand dort ein heilsames Paradies.

Vom Krebs spürte ich nicht viel. Ein Multiples Myelom (Knochenmarkkrebs) kann sich verstecken und jahrelang unbemerkt bleiben. Umso mehr spürte ich die Therapie im Universitätsspital: Isolierstation, Hochdosis-Chemotherapie und Transplantation von Knochenmark-Stammzellen. Starke Schmerzen. Plötzlich konnte ich meinem Körper nicht mehr vertrauen und weder essen noch trinken. Das war zwar schlimm, aber zeitlich begrenzt. Ich wusste im Voraus, dass das Leiden nach etwa elf Tagen zurückgehen sollte. Ich musste also nur hurtig unten durch. Das war für mich der stärkste Trost: Es dauert nicht lang.

Auf der Isolierstation war ich quasi angekettet. Schläuche führten in meinen Körper und versorgten mich mit Speis und Trank und Morphium. Jeden Morgen wurde ich etwa eine Stunde lang abgestöpselt. In dieser Zeit konnte ich mich frei bewegen, duschen und mit der Kamera in den Spitalgarten gehen. Endlich durfte ich den Mundschutz abnehmen und unfiltrierte Luft atmen. Endlich Ruhe vor dem nervtötenden, piepsenden, surrenden Möbel, das die Medikamente dosiert.

Zwangsläufig langsam gehe ich durch den Garten, atme, schlurfe, dehne meine Glieder, schlurfe weiter. Ich werde innerlich ruhig und schaue. Ich sehe Menschen ohne weisse Kittel, wie schön! Patienten sind auch da. Einigen geht es offensichtlich schlechter als mir; das mahnt mich zur Bescheidenheit. Ich sehe ein paar Eidechsen, die in der Steinmauer aus den Ritzen gucken, einen Schmetterling, einen jungen Spatz, der im Bächlein badet. Ich bewundere die Schönheit einer Seerose und staune über einen selbstbewusst wirkenden Raben, eine fleissige Amsel oder die zutrauliche, fast schon freche Ente.

Die Kamera hilft mir, mich zu fokussieren. Mein Patientendasein, das Spital und die Welt um mich herum versinken. Stille und Kontemplation liegen mir nicht, doch mit der Kamera in der Hand geht es wie von selbst. Vielleicht heisst es deshalb Autofokus. Es braucht Ruhe und Geduld, um eine Eidechse sehen zu können. Ich warte in der Junihitze vor der Mauer, eingemummelt wie im Herbst, weil ich nach der Chemo nicht an die Sonne darf. Nach ein paar Minuten traut sich die Echse heraus und erlaubt mir ein paar Fotos. Tiere fotografieren ist wie eine stillschweigende Vereinbarung: Lass mich in Ruhe, dann darfst du mich betrachten. Besonders deutlich ist das beim badenden Spatz. Er checkt immer wieder, ob ich Distanz halte, dann badet er weiter. Denn wenn es ihm nicht passt, ist er schneller weg als der Verschluss klickt.

Es tut mir gut, mich zu bewegen und aus dem isolierten Zimmer herauszukommen. Die Schönheit der Schöpfung und die Begegnungen mit den Tieren im Spitalgarten bewegen mich tief. Durch mein Angeschlagensein bin ich innerlich weicher als sonst und bin näher am Wasser gebaut. Einmal gehe ich in den Spitalgarten, während der Rasen gemäht wird. Tief atme ich den Geruch von frischem Gras ein, und vor Freude schiessen mir Tränen in die Augen.

Fotografieren hat mir damals sehr geholfen und die Bilder sind schöne Erinnerungen. Geholfen hat mir auch, dass ich ein Protokoll oder Tagebuch führte. Das war eine Aufgabe, die ich zu erfüllen hatte, und auch das war ein wirksames Mittel gegen das Gefühl des Ausgeliefertseins. Hilfreich war für mich ebenso der Glaube an Gott. Das ist eine starke Ressource, wie man heute sagt. Schliesslich halfen mir auch die Besuche, die ich empfangen durfte, und die Pflege im Unispital. Die gute Pflege hat mir immerhin geholfen, nach dem Gartenrundgang einigermassen gelassen wieder zurück in die Isolation zu schleichen.

Was ich mir vor dem Spitaleintritt vorgenommen hatte, erwies sich als nicht sehr hilfreich. Ich hatte einige Bücher mitgebracht und Filme auf den Laptop geladen, um sie in allfälligen endlosen Stunden und schlaflosen Nächten schauen zu können. Doch Gott sei Dank schlief ich meistens gut. Bücher und Filme fand ich so anstrengend, dass ich es bleiben lassen musste. Zudem ist das Leben als Patient eine Art Vollzeitjob, manchmal sogar nachts. Im Spitalbett ist freie Zeit knapp.

Krise

Die Zeit im Spital war auch eine innere Auseinandersetzung. Was trägt mich, wenn ich beruflich ausrangiert bin und die Leistungsfähigkeit sinkt? Wer bin ich, wenn ich nicht mehr funktioniere? Ich muss mein Leben neu ausrichten. Dabei hilft mir der christliche Glaube. Er wird stärker zur Basis meines Lebens: Da ist einer, der mich kennt und liebt. Unabhängig von meiner Leistungsfähigkeit. Ich kann ihm alles sagen, was mich bewegt und plagt, und meine Klage vor ihn bringen. Gerade an meinen Tiefpunkten hatte ich den Eindruck, Gott sei mir besonders nahe. Einmal hatte ich sogar, wie soll ich sagen, im Spitalbett eine Art Trost-Vision. Ich bin überzeugt, dass ich als Patient einen Beitrag zum Heilungsprozess leisten kann und dass mein Glaube – und was ich nicht glaube – ein wesentlicher Faktor ist.

Die innere Auseinandersetzung ging nach dem Spitalaufenthalt weiter. Derzeit mache ich häufiger Musik und fotografiere, vor allem in der Natur. Ich suche Aufgaben, bei denen ich mit Menschen zusammenarbeite und nicht allein vor dem Computer hocke. Und ich habe beschlossen, mehr in Beziehungen zu investieren. Die sind in den letzten Jahren zu kurz gekommen. Nicht nur wegen der beruflichen Abend- und Wochenend-Arbeit. Und ich muss das tief verwurzelte Leistungsdenken roden.

Pflege

Die Leute von der Pflege waren für mich die wichtigsten Personen im Unispital. Der Kontakt zu ihnen war enger als zu den Ärztinnen und Ärzten. Die Pflegerinnen und Pfleger kamen mir nahe, zapften mir Blut ab, kümmerten sich um meine Beschwerden. Sie schafften es meistens, kühl ihren Job zu machen und zugleich menschliche Wärme zuzulassen. Es ist schwer, jemandem eine Nadel in den Arm zu stechen und dabei Freunde zu bleiben. Aber ihnen ist es gelungen. Sie haben mir eine Art Zuhausegefühl gegeben.

Besonders geschätzt habe ich Information über meinen Zustand und das bevorstehende Tagesprogramm. Das half mir, mich zu orientieren. Auch ein paar freundlich erteilte fachliche Auskünfte für meine Besucherinnen und Besucher waren von grossem Wert. Meine Frau jedenfalls wusste dadurch, dass ich in guten Händen war.

Besuche

Besuche waren trotz der Isolation möglich, wenn auch eingeschränkt. Ich bin allen dankbar, die mich besucht haben. Besonders hilfreich fand ich Besuche, die mich tatsächlich oder im übertragenen Sinne vom Spitalzimmer wegbrachten. Einige begleiteten mich auf einen kleinen Spaziergang durch Gebäude und Garten. Unsere Töchter schilderten mir ihre Erlebnisse so anschaulich, dass Bilder in meinem Kopf entstanden, die nichts mit dem Spital zu tun haben. Das half. Und ein Freund brachte kurze Texte mit, die er vorlesen oder mir schenken konnte. Dankbar bin ich aber auch allen, die mich nicht besucht haben. Jeder Besuch kostet Kraft, und damit war es bei mir nicht mehr weit her. Ich hatte das Glück, dass die Zahl der Besuche gerade stimmte.




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