Editorial

Bildschirme überall. Monitore, Displays, Infoscreens.

Auf dem Arbeitsweg muss ich mich auf meinem Sitzplatz etwas verbiegen. Dann endlich habe ich freie Sicht und kann lesen, dass mich heute ein stürmischer Tag erwartet. Ich lehne mich dennoch entspannt zurück. denn ich bin aktualisiert, erfahre immer und überall etwas (Wichtiges), ob ich gehe, stehe oder sitze.

Ernsthaft: Was machen denn all die Informationen mit mir? Ich blicke nicht mehr durch die (ohnehin meist mit Werbung verklebten) Fenster, bin stattdessen fixiert auf die bewegte Oberfläche eines Flachbildschirms.

Wie würde ich wohl reagieren, wenn einer dieser Screens folgende Botschaft für mich hätte: «Mach’ die Augen zu!»? Nur geträumt. Diese Botschaft steht auf keinem Bildschirm der Welt. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich im Augen-Zu zu üben, jedoch die Augen offen zu halten für das wirklich Wichtige im Leben. Nicht?

Echt bildend, der Bildschirm. Ich werde es spätestens dann gemerkt haben, wenn statt Sturmböen ein Tag voller Heiterkeit aufzieht.

Ihre Gina Hillbert

Pendeln. Dies das Thema, welches mir für die Gazzetta aufgegeben wurde. Pendeln, dazu fällt mir so gar nichts ein. Oder etwa doch? Ich nutze die Zugfahrt von meinem Wohnort nach Basel und versuche, mich auf das Thema einzupendeln.

Der erste Teil meiner Reise, der Abschnitt Otelfingen bis Baden in der S6, ist so kurz, dass nicht wirklich an Arbeiten zu denken ist. Die Zeit reicht gerade, um einen Artikel der NZZ durchzulesen und ein paar Randnotizen anzubringen. Erst nach dem Umsteigen in den Schnellzug nach Basel nehme ich mir die Gazzetta-Rubrik vor. Der Laptop ist aufgeklappt. Doch konzentrieren kann ich mich nicht wirklich, denn neben mir sitzt ein mächtig verschnupfter Mitpendler. Ich möchte möglichst weit von ihm abrücken. Das ist allerdings schwierig im rappelvollen Zug. Alle 500‘000 täglichen Pendlerinnen und Pendler der Schweiz scheinen sich heute in meinem Zug zu befinden.

Im Auto wäre ich einem geringeren Risiko ausgesetzt, mir einen Virus zu holen, geht mir durch den Kopf. Aber ich weiss auch, dass die Staus auf der Strecke Zürich-Basel (und nicht nur dort) jedes Jahr zunehmen. Der Verkehr auf den Autobahnen hat sich seit 1990 mehr als verdoppelt. 30 Stunden haben Schweizer Autofahrer im Schnitt letztes Jahr stehend auf einer Strasse im Stau verbracht. Und es ist allgemein
bekannt, dass die A2 vor Basel zu den am stärksten belasteten Autobahnabschnitten zählt.

Das Risiko, morgens zu spät zum ersten Meeting zu kommen, ist mit dem Auto sehr viel höher. Daher versuche ich, wann immer möglich, auf das Auto zu verzichten. Schon der Umwelt zuliebe. Irgendwo habe ich gelesen, dass ein Auto auf der Fahrt zur Arbeit durchschnittlich mit 1,12 Personen besetzt ist. Würde ein halber Mensch oder zumindest ein Viertel Mensch morgens neben mir auf dem Beifahrersitz Platz nehmen, hätte ich sicherlich ein weniger schlechtes Gewissen, wenn ich mal auf das Auto umsteigen muss. Würde, hätte…

«Grüezi wohl, alli Billette vorwiise, bitte!»

Ich werde aus meinen weitschweifenden Gedanken herausgerissen: «Grüezi wohl, alli Billette vorwiise, bitte!» Der Zug fährt gerade in den Bözbergtunnel ein. Es wird dunkel. Der Screen leuchtet. Offensichtlich stehen noch immer nur ein paar wenige Zeilen zum Thema Pendeln auf meinem Bildschirm.

Wenn ich nicht gerade neben einem virenabgebenden Mitmenschen sitze, pendle ich gerne mit dem Zug. Auch weil ich dabei zum Lesen komme. Einen Grossteil meines Tages verbringe ich in Sitzungen. Ich bin dabei in guter Gesellschaft, wie ich einem Artikel der bz entnehme. Dreiviertel der Zeit verbringen Führungspersonen in Meetings. (Ich mache mir ein gedankliches Post-it: Einen  Gazzetta-Text zum Thema Sinn und Unsinn von Sitzungen zu verfassen.) Da ich den Anspruch habe, gut vorbereitet in Sitzungen zu erscheinen, ermöglicht mir das Pendeln, die Unterlagen zu sichten, Protokolle zu lesen oder mir Gedanken und Notizen zu den  zahlreichen Sitzungen zu machen. Der Zug bietet mir hier die Ruhe, ohne von Anrufen und anderen Unterbrechungen gestört zu werden.

Wir fahren an Pratteln vorbei, was mich daran erinnert... Oje, mein Gazzetta-Text. Jedoch nach Blick aus dem Fenster hin zum Bildschirm erscheint dort meine Pendelgeschichte. Meine Gedanken haben sich nun auch textlich eingependelt. Aufgabe erfüllt.

Reisen Sie gut und möglichst flüssig.

Ihr Werner Kübler, Spitaldirektor<br>

Ihr Werner Kübler, Spitaldirektor

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