Editorial

Vom Anschreiben

Neuerdings leide ich an Zettelallergie. Was so alles angeschrieben ist! Ich soll das Licht löschen, wenn ich den Raum verlasse, die leeren PET-Mineralwasserflaschen nicht zu den vollen stellen, das gebrauchte Geschirr nicht in die Spüle, sondern in der Geschirrwaschmaschine einordnen, die WC-Papierrolle gefälligst ersetzen, wenn das letzte Blatt gefallen ist. «Dauer des Wechsels max. 10 Sekunden», steht geschrieben. (Wetten, ich schaffe das in 8?).

Weshalb beginne ich auf diese und ähnliche Zettelbotschaften allergisch zu reagieren? Zettel sind doch etwas Nützliches: Einkaufszettel, Spickzettel, Handzettel, … oder die Zettelwirtschaft am Bildschirm mit Informationen, die ich mir partout nicht merken kann, mit Botschaften, die ich mir beim Schreiben immer wieder vor Augen führen möchte: «Fakten statt Floskeln». Bevor ich mich vollends in diesem Text verzettle, hier meine Erklärung: Mein Ärgernis ist, dass es offenbar Mitmenschen gibt, die einen Denkzettel brauchen für Selbstverständlichkeiten. Wie war das nochmal mit der Achtsamkeit? Nur maximal 10 Sekunden und die Welt ist ein bisschen besser. Ich wünsche Ihnen einen bunten Herbst, aber denken Sie daran, sollte das letzte Blatt fallen…

Ihre Gina Hillbert


In zwei Welten verankert:

Die forschende Medizinerin

Für viele Menschen nimmt der Beruf einen grossen Teil des Lebens ein. Zur Passion wird er dann, wenn man mit Leib und Seele dabei ist. Prof. Claudia Lengerke, leidenschaftliche Medizinerin und Forscherin, lässt tief blicken und verrät, warum gerade ein Zebrafisch dem Menschen so ähnlich ist und was wir daraus lernen.

Prof. Claudia Lengerke, Hämatologin am Universitätsspital Basel

Schon früh war mir klar, dass ich einen Beruf ausüben möchte, der mir Freude macht, mich ausfüllt, in den ich Leidenschaft investieren kann, sodass er zu einem wichtigen Lebensinhalt wird. Ein Beruf, in dem die Arbeit gleichzeitig grösstes Interesse und Hobby ist. Der duale Weg als Medizinerin und Forscherin ist für mich die Antwort auf diesen Berufswunsch.

Als Hämato-Onkologin sehe ich Patientinnen und Patienten, die sich oft in kritischen Lebenslagen befinden und lebensbedrohlich erkrankt sind. Ihnen Zugang zu den bestmöglichen medizinischen Erkenntnissen zu bieten und gleichzeitig menschlich zur Seite stehen zu können, bringt mir grosse Zufriedenheit und schafft starken Anreiz zur steten persönlichen Entwicklung.

Und hier kommt die Forschung ins Spiel

In der Klinik stehen wir oft mit dem Rücken zur Wand. Der Patient, mit dem wir meistens bereits einen längeren Weg über verschiedene Therapien gegangen sind – mit all den Hoffnungen und Enttäuschungen – ist nun doch wieder krank und es steht keine standardisierte Erfolg versprechende Behandlung mehr zur Verfügung. Da will man doch weiter denken und auch weiter handeln. Und auch wenn man nicht selbst alle Probleme lösen kann und zu all den Fragen selbst eine Antwort finden wird, so möchte man zumindest Teil dieses Fortschritts sein.

Mein grösster Traum wäre in der Tat …,

… wenn ich in meinem Forschungslabor eine Entdeckung mache, die ich tatsächlich bis zum Patienten bringen kann, um in einer sonst ausweglosen Situation eine Perspektive zu geben. Das ist wahrscheinlich der Traum aller forschenden Medizinerinnen und Mediziner, jedoch gelingen bahnbrechende Entdeckungen oder Erfindungen den wenigsten. Forschende Mediziner mit klinisch-naturwissenschaftlich geprägtem Wissenshintergrund können dennoch einen wichtigen Beitrag leisten: ein anderes Verständnis des Fortschritts und dessen potenziellen Werts für die Behandlung unserer Patientinnen und Patienten. Was kann man sich wirklich von der neuen Technologie oder dem neuen Medikament versprechen? Welches der vielen möglichen neuen Behandlungskonzepte sollte als erstes in einer klinischen Studie getestet werden?

Der «klinische Blick», die Nähe zum Patienten

Ein indirekter Beitrag, der langfristig angelegt, aber nicht weniger wichtig ist, ist folgender: Die Nähe zum Patienten, der sogenannte «klinische Blick», zeigt uns die wichtigsten ungeklärten Fragen auf – Fragen, für die am dringendsten durch Forschung eine Antwort gefunden werden sollte, um die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Die Welt der Medizin und die der Forschung sind sehr unterschiedlich. Die Gemeinsamkeit liegt im Ziel – den Menschen und seine Krankheit zu verstehen und erfolgreich zu behandeln – aber der Weg und die dafür erforderlichen Qualitäten und Arbeiten sind unterschiedlich.

«Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.»

Friedrich Nietzsche

Mit analytischem Blick und viel Kreativität

Während in der klinischen Arbeit das Wissen und die Erfahrung zählen, Ordnung herrscht und evidenzbasierte Behandlungsstandards befolgt werden müssen, sind in der Forschung der analytische Blick und möglichst viel Kreativität gefordert. Gemäss Nietzsches Aphorismus «Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.» hilft unkonventionelles Denken dabei, neue Lösungen zu finden.

Forschungsleidenschaft translational

In der Forschung leite ich eine Gruppe von Wissenschaftlern mit unterschiedlichem Ausbildungshintergrund und Erfahrungsniveau. Erfahrene promovierte Zellbiologen und Biochemiker arbeiten zusammen mit Doktoranden oder frisch von der Universität kommenden enthusiastischen Master-Studenten. In unseren Laborseminaren besprechen wir gemeinsam unsere Arbeitshypothesen und -ergebnisse, und jeder wird ermutigt, gleichberechtigt zu denken und seine Gedanken zu formulieren. Das habe ich selbst in meiner wissenschaftlichen Ausbildung an der Harvard Medical School, Boston, erfahren. Ein frischer Blick aus einer fachfremden Perspektive kann Innovation bringen, Erfahrung und Reife sind aber erforderlich, um neue Hypothesen zu prüfen und experimentell zu belegen

Wie der Fisch im Aquarium

In unserem Labor nutzen wir, neben üblichen experimentellen Techniken und Modellen, beispielsweise Zebrafische. Das sind echte Fische, und ja, es gibt Aquarien am Departement Biomedizin mit Fischen, die verschiedene genetische Modifikationen tragen, die es uns ermöglichen ihre Blutzellen zu untersuchen. Das sind transgene Linien, die einen fluoreszierenden und gewebsspezifischen Farbstoff in sich tragen. Der Zebrafisch ist dem Menschen überraschenderweise sehr ähnlich und eignet sich daher besonders für Untersuchungen wie diese. Er ist fast durchsichtig und kann in den ersten Lebenstagen auch in einer Petrischale wachsen. Der kleine und doch recht unspektakulär aussehende Fisch entwickelt sich besonders schnell: Bereits 24 Stunden nach Befruchtung hat er ein schlagendes Herz, Gefässe und kurz danach zirkulierende Blutzellen. So können wir tatsächlich am lebenden Fisch beobachten, was im Inneren passiert.

Der Zebrafisch hat Modellcharakter

Mithilfe dieser unkonventionellen Modelle sind wir in der Lage, die Geburt der Blutstammzellen – aus denen danach während des ganzen Lebens Blutzellen gebildet werden – mitzuerleben. In meiner Forschungszeit in den USA vor einigen Jahren haben wir durch Anwendung dieses Zebrafisch-Modells das Stammzell-stimulierende Molekül Prostanglandin E2 identifiziert, das in Folgestudien in Patienten ein besseres Anwachsen der Stammzellen nach Stammzelltransplantation ermöglichte. In einer neueren Zusammenarbeit mit Kollegen von der Universität in Strassburg haben wir das Zebrafisch-Modell genutzt, um zu zeigen, dass eine neue genetische Veränderung, die in Patienten mit gestörter Abwehrfunktion identifiziert wurde, tatsächlich die Ursache der beobachteten Beschwerden ist. In unseren Aquarien am Departement Biomedizin schwimmen nun Fische mit dieser genetischen Veränderung; wir werden diese einem Medikamentenscreen unterwerfen, um Behandlungsoptionen für diese neue Erkrankung zu identifizieren. Auch verwenden wir das Zebrafisch-Modell, um genetische Veränderungen zu studieren, die bei der Leukämieentstehung wichtig sind. Dabei hoffen wir, Erkenntnisse zu gewinnen, die insbesondere für die Behandlung bestimmter Subgruppen besonders aggressiver Leukämien von Bedeutung sind.

Offen sein, offen bleiben

Man muss sich selbst gut kennen, mit Interessen, Bedürfnissen, Stärken und Schwächen, um die richtige Berufswahl zu treffen. Meist ist man gleich nach der Matura nicht so weit und manches ergibt sich erst auf dem Weg. Daher ist mein Rat an junge Leute, offen zu bleiben für unerwartete Chancen sowie für neue Erkenntnisse über sich selbst. Wenn sie das Interesse für den Weg des forschenden Mediziners spüren, sich diesen Weg zutrauen – auch wenn viel Arbeit damit verbunden ist und sicher eine gewisse «Frustrationstoleranz». Denn die Arbeit empfindet man meist nicht als belastend, sondern als stimulierend und befriedigend; mich würde es viel mehr ermüden, einer Tätigkeit nachzugehen, die nicht meiner Leidenschaft entspricht, selbst wenn ich diese in der Hälfte meiner aktuell aufgewandten Zeit erledigen könnte.

Schliesslich wird man wertvolle Erfahrungen mitnehmen – selbst wenn man sich später für einen anderen Weg entscheidet.


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