Als erstes Spital in der Schweiz führt das Universitätsspital Basel sukzessive in seinen zahlreichen Kliniken ein Messsystem ein, das aufzeigt, welchen langfristigen Nutzen Patientinnen und Patienten von einer Behandlung haben. Unser Beispiel führt uns in das Brustzentrum.
Das iPad im Sprechstundenraum
Nach der aufwühlenden Brustkrebsdiagnose und einer erfolgreichen Operation sitzt Regula S. wieder im Sprechstundenzimmer. Auf dem iPad beantwortet sie Fragen zu ihrer Lebensqualität («Wenn Sie an Ihre Sexualität seit der brusterhaltenden Operation denken, wie oft fühlen Sie sich generell zufrieden mit Ihrem Sexualleben?»), den Funktionalitäten im Alltag («Bereitet es Ihnen Schwierigkeiten, sich körperlich anzustrengen, z.B. eine schwere Einkaufstasche zu tragen?») und wie sie sich heute, sechs Monate nach dem Eingriff, der Situation gewachsen fühlt («Wenn Sie an Ihre Brust denken, wie oft fühlten Sie sich in der letzten Woche selbstsicher, wenn Sie mit anderen Menschen zusammen waren?»). Sie kennt die Fragen, die sie auch damals, kurz nach der Diagnose, beantwortet hat.
15 Minuten später
Dr. Jasmin Zeindler, Oberärztin Brustchirurgie, bespricht mit der Patientin die soeben eingegebenen Antworten. Gemeinsam sehen sie auf dem Computerbildschirm die positive Entwicklung der Kurve zur Lebensqualität. Allerdings zeigt die Auswertung auch, dass sich das Gefühl der operierten Brust verschlechtert hat. Die Ärztin kann aufgrund des Kurvenbildes gezielt nachfragen und Regula S. berichtet von einem Hitzegefühl, Schwellungen, Schmerzen und einem Taubheitsgefühl in der Brust. Die Schmerzen würden sie daran hindern, wieder täglich mit ihrem Hund joggen zu gehen. Dr. Zeindler verschreibt ihr eine Schmerztherapie und Physiotherapie zur Narbenbehandlung und Lymphdrainage.
Einfach, benutzerfreundlich, unmittelbar
Die Software «heartbeat», die das USB für die Erfassung der patient reported outcome measures, kurz PROMs, verwendet, erlaubt es, die Befragung einfach und bequem am iPad auszufüllen. Zudem stehen die Ergebnisse dem Arzt sofort in der Sprechstunde zur Verfügung und können mit der Patientin besprochen werden. «Somit identifizieren wir frühzeitig die Probleme der Patientin, können sie zielgerichtet ansprechen und wirksam therapieren. Das, was die Patientin in der Befragung mitteilt, hat direkte Konsequenzen auf den weiteren Behandlungsverlauf», erläutert Walter Weber. Die Patientinnen merken, dass sie unmittelbar von der Befragung profitieren.
Gespräche gefühlvoller
Die Fragen nach den Gesundheitsaspekten, die das tägliche Leben und seine Qualität unmittelbar bestimmen, sind Basis für das anschliessende vertrauensvolle Gespräch. «Fragen zum Körperempfinden oder zum Sexualleben hätte ich im direkten Gespräch nicht gewagt anzusprechen», gibt Regula S. zu. «Und das Gespräch mit den Ärztinnen und Ärzten wird gefühlvoller, da sie wirklich auf mein Wohlbefinden eingehen», bemerkt sie und ergänzt: «Wichtig ist, dass ich nicht nur die Fragen beantworte, sondern dass die Ergebnisse gleich besprochen werden können und der weitere Therapieverlauf direkt angepasst wird».
Im Vergleich
Um eine Vergleichbarkeit der patient reported outcome measures und damit der Behandlungsqualität zwischen Spitälern zu gewährleisten, nutzt das USB die standardisierten Fragebögen der Non-Profit-Organisation ICHOM (International Consortium for Health Outcomes Measurement). Derzeit stellt ICHOM Fragebogensets für 24 Krankheitsbilder zur Verfügung.
Eingeführt – geplant
Nach den Vorreitern Brustchirurgie und Orthopädie haben mittlerweile auch die Herzchirurgie, Psychosomatik und das Stroke Center die patient reported outcome measures für bestimmte Krankheitsbilder eingeführt. Die Vorbereitungen zur Einführung weiterer Fragensets sind in vollem Gange. Noch dieses Jahr folgen: Urologie (lokalisiertes Prostatakarzinom), Gynäkologie (überaktive Blase), Spinale Chirurgie (Schmerzen im unteren Rücken), Gastroenterologie (chronisch entzündliche Darmerkrankung) und MKG-Chirurgie (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalte). 2019 werden weitere Fragensets zu onkologischen Erkrankungen eingeführt. «PROMs bieten die Chance, durch unmittelbaren Einbezug der Daten aus den elektronischen Fragensets in die Therapieplanung, Behandlungsqualität, Patientennutzen und -zufriedenheit gleichzeitig zu steigern», ist das Projektteam (Anne Wyss, Selina Bilger, Katrin Laubach, Sarah Niederberger, Daniel Neeser, Dr. Alexander Kappes (Vorsitzender Steuerungsausschuss)) überzeugt.
Prof. Walter Weber, Chefarzt Brustchirurgie
«Wie wirksam unsere Behandlung aus Patientensicht ist, ist das Hauptergebnis unserer Arbeit. Seit Oktober 2017 messen wir in der Brustchirurgie den Behandlungserfolg auch aus Patientensicht mit sogenannten patient-reported outcome measures, kurz PROMs. Mithilfe der regelmässig von unseren Patientinnen beantworteten Fragen zum persönlich empfundenen Gesundheitszustand wissen wir, ob die Therapie Erfolg hatte und über den Zeitverlauf nachhaltig ist. Vor Einführung dieser standardisierten Fragen hatten wir ausschliesslich klinische Qualitätsparameter herangezogen, wie etwa Rückfälle oder Komplikationen nach der OP, um den Behandlungserfolg zu beurteilen. Die PROMs sind kein Ersatz für die bisherige Qualitätsmessung, aber eine wichtige Ergänzung.»
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