Editorial

Geschlossen

Wer steht schon gern vor einer geschlossenen Tür: «Wegen Betriebsferien geschlossen», «Heute ausnahmsweise geschlossen», «Geschlossene Gesellschaft». Ausser vielleicht einem kurzen Moment des Ärgers, den solche Schilder auslösen, sind sie keinen weiteren Gedanken wert. Es ist eben, wie es ist. Anders dies: «Wald geschlossen». Wie bitte? Das hört sich drastisch an. Mein Wald, mein Erholungsgebiet, mein Freiheitsrefugium ist nicht mehr zugänglich. Geschlossen, zu, aus, finito. Von heute auf morgen. Und ich stehe draussen vor dem Tor zum Wald und habe, verflixt, keinen Schlüssel dabei. Die Natur will mich also ausschliessen.

«Wald geschlossen». Dieses Schild möchte ich nicht wirklich antreffen. Aber der etwas überspitzte Titel einer Zeitungskurzmeldung zur Teilsperrung des Hardwalds wegen Trockenheitsschäden hat mich erschreckt. Ich male mir ein Szenario in düsteren Farben aus, wenn ich tatsächlich vor einer Schranke stehe, einen Eintrittscode eingeben muss und es dann heisst «Sorry, Wald wegen Überfüllung geschlossen. Versuchen Sie es später wieder».

Die Natur darf ich nutzen, aber nicht benutzen. Fortan werde ich mich noch behutsamer und achtsamer in der Natur bewegen, um nicht irgendwann ausgeschlossen zu werden. Zu gross die Sehnsucht nach Spaziergängen durch den farbigen Herbstwald und nach dem Geraschel von welken Blättern unter den Schuhsohlen.

Schöne Erlebnisse in der offenen Natur wünscht Ihnen

Ihre Gina Hillbert


Wenn Gefässe viel kleiner sind

als gewohnt

… und wenn nicht nur Sprache, Kultur und Landschaft, sondern auch manch anderes ungewohnt ist. Blick nach DaNang, Vietnam, ins DaNang General Hospital.

Wir richten unseren Blick nach Vietnam, in die Küstenstadt DaNang und dort ins DaNang General Hospital. Es ist riesig: 2’000 Betten inklusive 70 Intensivbetten. In den 2’000 Betten liegen meist 3’000 Patientinnen und Patienten. Doppelbelegung ist damit eher die Regel als die Ausnahme. Rund 1’000 Menschen werden täglich ambulant versorgt. Das Spital verfügt über ein Einzugsgebiet von 1,5 Millionen Menschen. Für uns schwer vorstellbar.

Wie alles begann

Es sind oft die freundschaftlichen, über Spitalgrenzen hinaus bestehenden Beziehungen zu Berufskollegen, die etwas in Bewegung setzen. So auch beim DaNang-Spitalprojekt. Mein Kollege Dr. hc. Erich Gygax, ehemaliger Chefkardiotechniker am Inselspital Bern, pflegt eine persönliche Beziehung zu Vietnam: Seine vietnamesische Ehefrau ermunterte ihn, sein Fachwissen und seine Kontakte zu nutzen, um der Bevölkerung eine moderne medizinische Versorgung zu ermöglichen. Nach einem intensiven Auswahlverfahren unter vielen Spitälern entschied er sich für die Herzchirurgie des DaNang General Hospitals. Nach einiger Vorbereitungszeit konnte dann das humanitäre Projekt im Jahre 2017 aus der Taufe gehoben werden. Allerdings, es fehlte an allem: Maschinen, Instrumente, Implantate, Nahtmaterial, Medikamente, aber auch Know-how. Was jedoch reichlich vorhanden war und ist: der Wille, weiterzukommen. Das Land, das während zweier Jahrzehnte durch den Vietnamkrieg gebeutelt worden war, zählt heute zu den Schwellenländern, also zu den wirtschaftlich aufstrebenden Staaten. Langsam im Entstehen ist dadurch eine Mittelschicht, die sich zukünftig eine Herzoperation wird leisten können. Derzeit stammen circa 80% der Ausgaben für das Gesundheitssystem vom Patienten selbst. Eine Krankenversicherung ist nach wie vor freiwillig. Erich Gygax holte mich als Herzchirurgen ins Boot. Ich sagte spontan zu und bald schon konnte ich mir selbst ein Bild machen. Was ich antraf, überstieg zunächst meine Vorstellungskraft.

Routine und doch …

Mit umfangreichem Gepäck reisten wir an. Ohne grosse Verzögerung ging es an unsere Fachkompetenz, das Empfang mit Leuchtschrift. Von links: Dr. Hai Nguyen Minh, Chefarzt Herzchirurgie, DaNang General Hospital; Dr. hc. Erich Gygax, Kardiotechniker; Prof. Oliver Reuthebuch, stv. Chefarzt Herzchirurgie USB; Dr. Thanh Vu, Spitaldirektor DaNang General Hospital; Prof. Jens Faßl, Chefarzt Kardioanästhesie Herzzentrum Dresden; Dr. Ho Dac Hanh, Chefarzt Kinderherzchirurgie DaNang General Hospital Gemeinsames Operieren 16 3.19 Spitäler der Welt Operieren am Herz. Der Chefherzchirurg am DaNang General Hospital, Hai Nguyen Minh, und ich wechselten uns bereits während der ersten Operation ab. Keine Zeit für eine Eingewöhnung. Erstaunt war ich, dass so viele verschiedene Personen an der Operation zugegen waren. Mit Zeichen und Mimik wurde grösstenteils kommuniziert. Der Englischwortschatz ist ebenfalls erst im Aufbau. Ich erlebte mich angespannt, unter Strom. Als wir schliesslich von einer gelungenen Operation ausgehen konnten, waren alle sehr berührt. Was war geschehen? Was geschieht mir, fragte ich mich.

Mensch ist nicht gleich Mensch

Jeder Patient, der auf dem Operationstisch liegt, ist anders. Auf die (feinen) Unterschiede sind wir im Unispital jeweils gut vorbereitet, weil wir im Vorfeld des Eingriffs zahlreiche Abklärungen machen. Die liefern uns wichtige Informationen für die Operation und schützen uns auch vor Überraschungen. Hinzu kommen die langjährige Berufserfahrung sowie ein bestens aufeinander abgestimmtes und vorbereitetes OP-Team, das einem zur Seite steht. Nun also im DaNang General Hospital. Mensch ist selbstverständlich auch hier nicht gleich Mensch. Die im Durchschnitt viel geringere Körpergrösse der Menschen in Vietnam, die auf dem OP-Tisch offensichtlich wird, hat für mich als Operateur entscheidende Konsequenzen: Die Gefässe, im Speziellen die Herzkranzgefässe, sind ebenfalls sehr viel kleiner. So klein, dass ich sie zunächst nur erahnen kann. Sie reagieren auch viel stärker auf Reize und neigen zu Spasmen. Das junge Alter der Patienten fordert da seinen Tribut. Darauf war ich nicht gefasst. Und da stehe ich, der Typ aus dem Westen, der scheinbar alles weiss und im Griff hat … Da habe ich mich kurz gefragt: Was mache ich hier eigentlich?

Wir machen weiter

Mein Engagement für das DaNang General Hospital wird von verschiedenen Impulsen geleitet. Das Zusammenwirken mit Kollegen für eine gute Sache gehört mit Bestimmtheit an die erste Stelle. Ich habe Prof. Jens Faßl, einst am USB in der Kardioanästhesie tätig, jetzt Chefarzt des Instituts für Kardioanästhesie am Herzzentrum Dresden, ebenfalls für unser Projekt gewinnen können. Somit treffen wir uns eben nicht nur an Fachkongressen, sondern wie einst in einem OP-Saal; mit dem Unterschied, dass wir uns in einem ganz anderen Land befinden. Während des letzten Besuches operierten wir zehn Patienten innerhalb von zwölf Tagen. Weniger als geplant. Grund dafür war das vietnamesische Tét Festival, das Pendant zum Neujahrsfest. Wer möchte sich dann schon operieren lassen? Die Zeit haben wir genutzt, um die einzelnen Eingriffe intensiver vorzubereiten und theoretische Kenntnisse an das Team in Seminaren weiterzugeben. Teilweise waren mehr als 20 Personen im Operationssaal, die Herzklappenrekonstruktionen, Bypasschirurgie ohne Herz-Lungen-Maschine und Aortenchirurgie hautnah miterleben konnten.

Feste Grössen

Im Team lassen sich Rückschläge besser meistern beziehungsweise Probleme einfacher lösen. So verhindert beispielsweise ein neues Gesetz, gebrauchte aber einwandfrei funktionierende Geräte nach Vietnam einzuführen. Und so kam der Container mit dem Echo-Gerät nach zwei Monaten Odyssee eben wieder in die Schweiz zurück. Problemlösung? Abwarten, noch bis Ende des Jahres soll eben dieses Gesetz wieder abgeschafft werden. Eine feste Grösse in diesem wunderbaren Projekt ist ein Kooperationsvertrag zwischen der Herzchirurgie Universitätsspital Basel und der Herzchirurgie DaNang General Hospital. Die Bande sind geknüpft zu sehr liebenswürdigen Menschen, wissbegierigen Kolleginnen und Kollegen, die durch unser humanitäres Engagement wiederum den Menschen in ihrem Land zu einer besseren Behandlung verhelfen können.

Ganz konkret helfen zu können, den Kollegen vor Ort Techniken lehren und Wissen vermitteln, da bleibt man selbst auf dem Boden. In jeder Minute merkt man, dass es wichtig ist, flexibel und für Neues offen zu bleiben. Und das gilt für dort und hier.



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