CARLO
macht die Knochenarbeit
Die Welt computergesteuerter Roboter, dieser hoch technisierten Geräte, die in Operationssälen vermehrt häufiger zum Einsatz kommen, wird immer ausgeklügelter. Dr. Alfredo Bruno ist ein erfahrener Laserphysiker und der technische Kopf des Roboters CARLO, der mittels Laserstrahl äusserst präzise und berührungsfrei Knochen schneiden kann. Die Medizintechnologie hat eine neue Dimension erreicht.
Die persönliche Geschichte des an der University of Saskatchewan, Kanada, promovierten Laserphysikers Dr. Alfredo Bruno erweckte CARLO (Cold Ablation Robotguided Laser Osteotome) zum Leben.
Ohne Zufälle kein CARLO
Eine meiner Töchter hatte eine angeborene Fehlstellung des Kiefers, die chirurgisch korrigiert werden musste, sobald die Knochenbildung abgeschlossen sein würde. Je näher die Operation rückte, desto stärker geriet die Familie in Panik, denn wir wussten, dass dies ein massiver Eingriff sein würde. Als meine Tochter Faustina 18 Jahre alt war, trafen wir uns in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie im Universitätsspital Basel mit dem Leiter, Professor Zeilhofer, und dem Oberarzt Dr. Jürgens zur Besprechung. Mein Interesse an der genauen Operationsmethode war gross. Im Gespräch ergab es sich zufällig, dass mir die beiden Fachärzte eine hoch entwickelte Software, die der individuellen Operationsplanung dient, demonstrierten. Ich wollte wissen, wie präzise die Knochenschnitte ausfallen würden, schliesslich werden diese immer noch mit konventionellen Sägen ausgeführt, wie die Chirurgen mir erklärten. Professor Zeilhofer, der nicht wusste, dass er es mit einem Laserphysiker zu tun hatte, wurde neugierig: «Warum stellen Sie diese Frage?» Derart innovative Software, jedoch eine Operationsmethodik mit Instrumenten aus dem 19. Jahrhundert, also Säge und Bohrer – die Frage drängte sich mir regelrecht auf! Als ich mich schliesslich als Laserspezialist outete, dockte Professor Zeilhofer sofort an: «Listen, Dr. Bruno, we have been trying this for many years.»
Harter Knochen, sensibles Innenleben
Damals kannte ich mich mit Knochenmaterial überhaupt nicht aus. Aber ich erinnere mich daran, sofort entgegnet zu haben: «Dann haben Sie den falschen Laser!» Tatsächlich liessen sich Knochen bis anhin nicht mit einem Laser schneiden, ohne Schaden an der Struktur zu nehmen. Denn bisher verwendete Laser erzeugen Hitze und beschädigen dadurch das Knochengewebe, welches danach nicht mehr gut verheilt. Als ich ihm eröffnete, ich hätte für andere Zwecke bereits einen kleinen Laser entwickelt, war sein Interesse vollends geweckt, und er wollte mich sofort engagieren. Ich war in jener Zeit äusserst beschäftigt, sodass ich keine Kapazitäten dafür freimachen konnte. Es vergingen zwei Jahre, bis ich mich an die Weiterentwicklung des miniaturisierten Lasers, des heutigen Herzstücks von CARLO, machen konnte. Jedoch losgelassen hatte mich die Idee nie, für die mich Professor Zeilhofer unbedingt gewinnen wollte.
Operation geglückt
Die Gesichtsoperation meiner dann 20-jährigen Tochter – nach konventioneller Methode – verlief bestens. In diese Zeit fiel auch eine Änderung meiner Arbeitssituation, sodass ich nun endlich CARLO geistig auf die Startbahn setzen konnte. Ich begann viel über Operationen an Gesichts- und Schädelknochen zu lernen. Ich fing an zu forschen. Suchte mir etwa 150 Publikationen über komplexe Operationen zusammen, die ich dann in meinen Ferien studierte. Danach traf ich mich regelmässig mit Professor Zeilhofer und Dr. Jürgens. Wir hatten viel Diskussionsstoff.
«Innovation hat nicht zuletzt sehr viel mit Intuition zu tun. Als ich Dr. Bruno das erste Mal traf, hatte ich das sichere Gefühl, zum richtigen Zeitpunkt dem richtigen Menschen begegnet zu sein. Er sollte in der Lage sein, uns zu helfen, unsere langjährige Forschung im Bereich der Laser-Osteotomie, die zuletzt vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wurde, über eine Unternehmensausgründung in den Markt und damit an den Patienten zu bringen. Durch persönliche Betroffenheit (die Operation seiner Tochter) konnte er unser Forschungs-Credo «das Wohl des Patienten steht immer im Mittelpunkt» perfekt umsetzen. Dr. Bruno war getrieben von einer grossen Leidenschaft, einer unbedingten Hingabe zum Thema – sein lateinamerikanisches Temperament, gepaart mit der mir eigenen Ausdauer, ist wesentliche Antriebsfeder, um zukunftsweisende, kreative Ideen auf den Weg zu bringen.»
Prof. Hans-Florian Zeilhofer,
Chefarzt Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Leiter Hightech-Forschungszentrum
Dr. Bruno, virtueller Chirurg
Ich bin in einem ländlichen Gebiet Argentiniens aufgewachsen. Mein Vater war Arzt und hatte seine Praxis in unserem Wohnhaus. Als kleiner Junge sah ich dort immer Menschen, die verletzt waren, die bluteten. Ich wusste, Arzt werde ich nie. So stellte ich mir also vor:
Ich bin Chirurg, sehe aber nicht gerne Blut oder Organe. Ich mag aber Hightech und brauche ein Spielzeug, welches die mir unangenehme Chirurgenarbeit zu 100% selbstständig für mich erledigt, also einen Roboter. Dieser eher absurde Ansatz half mir, die Lasertechnologie für CARLO zu entwickeln.
Ich hätte mir nie erträumt, dass ich eines Tages etwas erfinde, das in der Medizin und in der Chirurgie eingesetzt werden würde. Einen Laser-Roboter für den Operationssaal zu entwickeln ist eine faszinierende, hoch anspruchsvolle Aufgabe.
Fundamentales
Wie ging es weiter mit CARLO? Als nächster Schritt wurde 2010 die Firma AOT (Advanced Osteotomy Tools) gegründet. Ich habe Marktforschung betrieben und einen Businessplan verfasst. CARLO hatten wir Gründer bereits zum Patent angemeldet. Aber im Raum stand die Frage: Wer würde in ein solch verrücktes Projekt investieren? Ich war nicht der Einzige, der skeptisch war. Nur Professor Zeilhofer hat immer daran geglaubt. Er hat eine tolle Eigenschaft: Ihm macht nichts Angst und er ist immer positiv eingestellt. Wir hatten ein super Team mit absoluten Spezialisten zusammengestellt. Die vier Gründer von AOT sind Gurus auf ihrem Gebiet. Doch um das Start-up einzuleiten, brauchten wir Geld: Nun war es vorrangig, mit möglichst vielen Investoren persönlich ins Gespräch zu kommen, sie von unserem Projekt zu überzeugen. Und das Interesse war viel grösser als erwartet. Man glaubte an uns. Meine Skepsis schwand.
Kein Weg zurück
Dann begannen wir noch intensiver zu arbeiten. Wenn aus einer Fantasie Realität wird, verändert man sich. Professor Zeilhofers Faszination hatte mich inzwischen vollkommen gepackt. Wir entwickelten und testeten eifrig. Wir besorgten uns beim Metzger Tierknochen. Gemeinsam erschufen wir CARLO rund um das kleine patentierte Herzstück, den Laser, der Knochen schneiden kann (auch S- oder puzzleförmig), ohne diesen zu stark zu strapazieren, den Roboterarm, in dessen Spitze die kleinteilige Technik Platz findet, die Robotik, die den Arm von einem Computer aus steuert, die Bildgebung, das Sicherheitsfeature, das die Schnitttiefe innerhalb des Knochens kontrolliert. Das Spin-off-Projekt wurde 2010 mit dem Venture Kick Award, 2014 mit dem Pionierpreis der Zürcher Kantonalbank und des Zürcher Technoparks und schliesslich 2015 mit dem CTI Swiss Medtech Award ausgezeichnet. Der Point of no Return liegt nun schon weit zurück.
Heute
CARLO wird derzeit intensiv im Labor getestet. Wir optimieren permanent, bis wir CARLO bald zur CE-Zertifizierung anmelden werden. Dann wird das Universitätsspital Basel das erste Spital weltweit sein, in welchem CARLO in den Klinikbetrieb übergeht. Das bedeutet einen Durchbruch in der Operationstechnik, denn CARLO ist nicht auf den Einsatz an Gesichts- und Schädelknochen beschränkt. Der Roboter kann prinzipiell für präzisere und schonendere Knochenoperationen am ganzen Körper eingesetzt werden.
Blicke ich zurück, dann kann ich es manchmal nicht glauben. Ohne meine Tochter gäbe es diese Erfolgsgeschichte nicht. Faustina ist so etwas wie eine Promotorin für CARLO.
Kürzlich sass ich mit Hans-Florian Zeilhofer im Taxi. Ich meinte zu ihm: «Hans-Florian, I do not know where we will end up with the whole thing.» Worauf der sichtlich zufriedene, immer neugierige und für Innovationen offene Hans-Florian erwidert: «Oh, Alfredo, I am still curious about tomorrow, it’s rock and roll!»
«Solche Roboter werden in Zukunft immer mehr Aufgaben übernehmen. Sie sind aber nur dann sinnvoll, wenn sie mit ihren Fähigkeiten Operationen sicherer und schonender machen. CARLO schneidet auch geschwungen oder puzzleförmig. Damit kann ich Knochen besser wieder zusammenfügen. Die Heilung geschieht viel schneller, es gibt weniger Komplikationen und die Stabilität des Knochens ist viel grösser.»
Prof. Hans-Florian Zeilhofer
Publikationen
UnternehmensZeitung, 12.09.2016: «Lasern statt sägen»
Link besuchen
Der Landbote, 22.04.2016: «Roboter erobern den Operationssaal»
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