Editorial

Auf der Suche nach dem roten Faden

Dieser Ausdruck kommt aus dem Bereich des Webens, wo man keinen Faden verlieren durfte. «Seit alter Zeit wird das Erzählen mit der Textilherstellung und -bearbeitung assoziiert, weil das Weben Zeit zum episch breiten Darstellen und Wiedergeben von Sachverhalten bot.» (Wiki) Aha! Text und «textil» sind folglich eng miteinander verwoben.

Und schon habe ich den (roten) Faden dieser Gazzetta-Ausgabe gefunden: Erzählungen und Geschichten zum Leben, das am seidenen Faden hängen kann, zu scheinbaren Zufällen und zu geflochtenen Bildern über Schmerzen, Wunden und Verwundung. Beiträge, die zeigen: Man soll den Faden immer wieder aufnehmen, auch wenn man zeitweise glaubt, ihn verloren zu haben.

Aber bevor Ihnen der Geduldsfaden reisst und ich zu langfädig werde, beende ich mein Editorial und lasse Sie gerne eintauchen in das neue Textgeflecht.


Ihre Gina Hillbert

Mobiler Schmerzdienst:

Linderung auf Stufe 4

(Nachgestellte Szene): Beratungsgespräch - so funktioniert die mobile Schmerzpumpe <br>

(Nachgestellte Szene): Beratungsgespräch - so funktioniert die mobile Schmerzpumpe

Seit Kurzem bietet die Anästhesiologie des USB den Mobilen Schmerzdienst an, der Patientinnen und Patienten mit unerträglichen Schmerzen auch daheim behandelt und begleitet.

Unser Patient Franco Aldino* – Urothelkarzinom der Harnblase​

Kaum steht die Tür zum Patientenzimmer offen, hört man das Stöhnen des schmerzgeplagten 61-jährigen Patienten. Im Zimmer ergibt sich ein bestürzendes Bild. Der Patient, nennen wir ihn Franco Aldino, kauert im Vierfüsslerstand auf seinem Bett. Nur so kann er seine starken Schmerzen ertragen. Herr Aldino leidet seit einem Jahr unter einem metastasierenden Urothelkarzinom der Harnblase. Die Antitumortherapie brachte leider keinen Erfolg. Der Tumor ist stark fortgeschritten und mehrere Metastasen in Knochen und anliegenden Organen bereiten dem Patienten schier unerträgliche Schmerzen, die mit stark wirksamen Opioiden nicht mehr gelindert werden können. Die Prognose für den Patienten ist schlecht. Leider werden ihm nur noch wenige Lebensmonate verbleiben – doch wie soll er diese mit Leben füllen, wenn ihn der Schmerz so in die Knie zwingt?

Schmerz lässt nach
Der Schmerztherapeut schlägt Herrn Aldino eine intrathekale Schmerztherapie vor. Bei diesem Verfahren erhält der Patient einen Schmerzkatheter in den Spinalraum, über den kontinuierlich Lokalanästhetika und Opioide verabreicht werden. Die Therapie schlägt an: Nach wenigen Tagen ist es Herrn Aldino möglich, aus dem Spital auszutreten. In den kommenden Monaten ist die Schmerzpumpe, welche an seinen intrathekalen Katheter angeschlossen ist, sein ständiger Begleiter. Ohne Schmerzen kann der Patient nun seine persönlichen Aufgaben erledigen: Letzte Besuche von Freunden, wichtige Gespräche mit Familienmitgliedern und in seinem Ferienhäuschen in der Westschweiz dort, wo er sich am wohlsten fühlt, schöne Momente geniessen. Elf Monate später verstirbt er. Ängste und das traurige Abschiednehmen waren für den Patienten und seine Angehörigen ein grosses Thema, nicht aber die Schmerzen, die bis zum Tod durch die Pumpentherapie gut kontrolliert wurden. Das Schicksal von Herrn Aldino berührt. Wenn Schmerz unerträglich wird, schrumpft der Raum für Wünsche und Pläne. Jeder Tag wird zur Qual. Der Schmerz nimmt einem die Ruhe. Hingegen wird Lebensqualität geschenkt, wenn die Schmerzen gelindert werden können.
Kurz vor Lebensende
Zu Hause sterben zu können, das ist der ausdrückliche Wunsch eines Grossteils der Schweizer Bevölkerung. Aktuell stirbt in der Schweiz etwa jede dritte bis vierte Person an einem Tumor, 73% dieser Patienten möchten zu Hause sterben. Tatsächlich sterben aber nur rund 20% in ihrer vertrauten Umgebung. Sehr oft sind quälende Schmerzen der Grund für eine Hospitalisierung kurz vor Lebensende, da jeder fünfte Tumorpatient an sehr starken und jeder zehnte an unerträglich starken Schmerzen leidet. Deshalb ist es wichtig, Patienten wie Herrn Aldino den Wunsch, zu Hause zu sterben, nach Möglichkeit zu erfüllen.​

Unser Patient Patrick Müller* – Bauchspeicheldrüsenkrebs

In einigen Fällen sind minimal invasive Verfahren geeignet, einen stark schmerzgeplagten Patienten bis zum Greifen von Radiotherapie oder Chemotherapie zu überbrücken. So auch der folgende Fall: Ein ca. 40 Jahre junger Mann – bis anhin in bester sportlicher Kondition und erfolgreich im Leben stehend – war bei der ersten Kontaktaufnahme gekrümmt vor Schmerz. Es folgten Untersuchungen und nur wenige Tage später stand die erschütternde Diagnose eines fortgeschrittenen Bauchspeicheldrüsenkrebs fest. Die Schmerzen spitzten sich ins Unerträgliche zu.

Da konventionelle schmerztherapeutische Massnahmen nicht halfen, wurde ein intrathekaler Schmerzkatheter gelegt. Die Schmerzen wurden daraufhin erträglich und der Patient überstand die drei Zyklen Chemotherapie gut. Da die Chemotherapie anschlug und die Tumormasse zurückging, konnte die intrathekale Schmerztherapie in der Folge erfolgreich ausgeschlichen und der Katheter gezogen werden. Der Patient befindet sich zurzeit in einem stabil guten Zustand seiner Tumorerkrankung.

* Die Namen der Patienten durch die Redaktion geändert.


WHO-Stufenschema zur (Tumor-)Schmerztherapie

Im Klinikalltag wird zu Beginn einer schmerzhaften Tumorerkrankung nach dem WHO-Stufenschema der Schmerztherapie behandelt. Ungefähr 10% der Tumor-Schmerz-Patienten werden trotz korrekter Anwendung der konservativen Therapie-Möglichkeiten nicht schmerzarm und benötigen deshalb minimal invasive Schmerztherapien. Die Anwendung solcher Verfahren der Stufe 4, insbesondere im Zusammenhang mit Katheterverfahren, stellt im ambulanten Bereich hohe Anforderungen an alle Beteiligten und setzt eine hohe interdisziplinäre Zusammenarbeit voraus.

Brückenschlag ambulant – stationär

«Leider konnte einigen Patienten in der Vergangenheit eine intrathekale Therapie nicht angeboten werden, da unklar war, wie diese im häuslichen Setting betreut werden könnten», räumt W. Ruppen, Leitender Arzt der Schmerztherapie am USB, ein. Aus diesem Grund wurde mit verschiedenen Partnern wie z.B. Hausärzten, Spitex, Tumorzentrum sowie dem Gesundheitsdepartement die Idee aufgegriffen, solch komplexe Schmerzpatienten auch zu Hause zu betreuen. Die Idee stiess auf reges Interesse. Dies zeigte sich in der Verleihung des ersten Preises 2015 am fmc-Kongress: Von 76 national eingereichten innovativen Projekten wurde das Projekt «Ambulante Schmerztherapie am USB» von den Kongress-Teilnehmenden auf den ersten Platz gewählt.

Das Projekt bildet einen grossen Brückenschlag zwischen ambulanter und stationärer Betreuung. Zwischen der Abteilung Schmerztherapie/Anästhesiologie und der Spitex Basel besteht nun ein Kooperationsvertrag, der vom Gesundheitsdepartement Basel-Stadt unterstützt wird, sodass komplexe und invasive Schmerztherapien nun auch im häuslichen Umfeld in der Stadt Basel angeboten werden können. Zusammen mit dem Hausarzt oder Onkologen und der Onkospitex können Patienten mit komplexen Schmerztherapien fortan daheim betreut werden. Weitere wichtige Partner sind die Palliativmediziner, Onkologen, Psychoonkologen und die Seelsorge. Sehr bedeutsam ist auch die Rolle der Angehörigen, die oft vergessen gehen. Dabei sind es häufig sie, die trotz Inanspruchnahme von professionellen Diensten die Hauptlast der Pflege zu Hause leisten. Folglich ist die Anleitung und Unterstützung der Angehörigen in der komplexen schmerztherapeutischen Situation des Patienten ein weiteres tragendes Element des Projektes. Dazu Monika Kirsch, Pflegeexpertin der Schmerztherapie am USB: «Schon jetzt leistet die Onkospitex grossartige Arbeit in der Betreuung von Tumorpatienten daheim. Durch die Zusammenarbeit mit uns, dem Schmerzteam des USB, ist es nun möglich, ihre Dienstleistung die hochkomplexe Schmerztherapie zu ergänzen.»

Für die Zukunft wünscht sich das Schmerzteam vor allem, dass es die Patienten erreichen kann, die von solch einer Schmerztherapie profitieren können, damit diesen mehr Lebensqualität in einer der schwierigsten Lebensphasen des menschlichen Daseins daheim geschenkt werden kann.

Der Mobile Schmerzdienst berät zu Hause Patienten, deren Angehörige und Hausärzte in komplexen Schmerzsituationen. Diese neue Dienstleistung wird vom Tumorzentrum USB unterstützt und richtet sich vor allem an Patienten mit fortschreitender Erkrankung, deren Mobilität eingeschränkt ist. Auf diesem Weg können auch komplexe Schmerztherapien angeboten werden, die normalerweise nur unter stationären Bedingungen möglich sind. Dieses Angebot wird in Kooperation mit der Spitex und der Onkospitex Basel-Stadt angeboten.

Das Team der Schmerztherapie freut sich über Kontaktaufnahme unter der
Mobilnummer +41 79 812 61 37 (Mo bis Fr, 8 bis 17 Uhr) oder schmerztherapie@usb.ch.


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