Editorial

Neustart: Nie ist alles neu

Manchmal müssen wir das System runterfahren und einen Neustart machen. Vertraute Symbole auf dem Screen zeigen uns dann, dass wieder alles funktioniert. Glück gehabt. Es kann also weitergehen im selben Trott.

Wetten, dass jede und jeder von uns schon mehrmals von einem echten Neustart geträumt und Mitmenschen beneidet hat, die ihn gar gewagt haben. Den lebensverändernden Schnitt bewusst durchzuziehen, hat meist einen positiven Effekt auf die Lebensfreude. Manchmal greift jedoch das Schicksal in unseren Lebensplan ein und zwingt uns zu einem Neuanfang, wo wir es uns zunächst überhaupt nicht vorstellen können. Das Neue muss erst einen Weg zu einem selber finden.

Wir stehen vor einem neuen Jahr. Manche Programme werden wie gewohnt weiterlaufen. Wir vertrauen darauf, dass sie gut funktionieren und uns ans Ziel bringen. Wenn wir an einem Neustart stehen, dann beginnen wir mitunter gefühlt bei Null. Tatsächlich aber haben wir den Nullpunkt bereits hinter uns gelassen und sind auf dem Weg zu etwas Neuem: Start-up statt durchstarten.

Wo immer Sie stehen, ich wünsche Ihnen für Ihr persönliches Programm nur das Beste und einen guten Start ins neue Jahr.


Ihre Gina Hillbert


Überlebt.

Doch nichts ist mehr wie es war

Es überleben nur ca. 10% der Patientinnen und Patienten einen ausserklinischen Herz-Kreislauf-Stillstand. Davon haben ca. 30% schwerere neurologische Defizite.

Es überleben nur ca. 10% der Patientinnen und Patienten einen ausserklinischen Herz-Kreislauf-Stillstand. Davon haben ca. 30% schwerere neurologische Defizite.

Herz-Kreislauf-Stillstand, Reanimation, längere künstliche Beatmung, Intensivstation: Das Leben von Patientinnen und Patienten nach kritischer Krankheit, aber auch dasjenige ihrer Angehörigen, ist danach häufig nicht mehr so, wie es vorher einmal war. Schwierige Themen zwischen Leben und Tod stehen im Raum. Nicht selten entwickeln Angehörige von Intensivstationspatienten posttraumatische Belastungsstörungen. Das USB bietet Betroffenen eine spezielle Sprechstunde an – ein interprofessionelles und in der Schweiz völlig neues Angebot.

Prof. Sabina Hunziker Schütz, MPH

Stv. Chefärztin Psychosomatik und Leitende Ärztin Medizinische Kommunikation. Seit 1. Juli 2016 ist sie Professorin für Kommunikation an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel. Zuvor war sie Oberärztin der Inneren Medizin und Medizinischen Intensivstation sowie in der klinischen Forschung tätig.

In meinem klinischen und wissenschaftlichen Werdegang habe ich mich immer für die Forschung im Bereich Arzt-Patienten-Kommunikation und die Kommunikation mit Angehörigen von Patienten interessiert. In der Psychosomatik angegliederten Abteilung «Medizinische Kommunikation», die ich seit eineinhalb Jahren leite, bewege ich mich sowohl forschend als auch lehrend. In unmittelbarem Patientenkontakt bin ich durch die neue Sprechstunde, die wir für Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen eingerichtet haben. In der Post-ICU-Sprechstunde (ICU = Intensive Care Unit) werden Patienten, die eine schwere Krankheit auf der Intensivstation überlebt haben, nachbetreut. Häufig sind dies Patienten nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand, die wiederbelebt oder die über lange Zeit invasiv beatmet worden sind.

Die Post ICU-Sprechstunde – ein innovatives Versorgungsmodell

In der «COMMUNICATE»-Studie untersuchen wir derzeit die Effekte einer Kommunikationsstrategie auf Morbidität von Angehörigen kritisch kranker Patienten, insbesondere in Bezug auf posttraumatische Belastungsstörung. Dabei haben wir in einer ersten Auswertung gesehen, dass 40% der betroffenen Angehörigen eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln. Diese Patienten und Angehörigen sind von dem akuten schweren Ereignis sehr belastet und haben häufig langfristige Lebensveränderungen im somatischen, aber auch im psychosozialen Bereich. Die proaktive Aufarbeitung kann dies dramatisch verbessern. Aus diesem Grund haben wir eine neue Sprechstunde – die «Post-ICU Care» – ins Leben gerufen. In dieser Sprechstunde, welche ich zusammen mit Christian Emsden, Intensivpflegefachmann, in der Sprechstunde in der Rolle einer Advanced Practice Nurse, führe, geht es um die nochmalige gemeinsame Besprechung und Aufarbeitung des Intensivstations-Aufenthaltes mit dem Patienten und dessen Angehörigen.

Professionelle Kommunikation – wichtiger Faktor der Patientenzufriedenheit

Die Medizin hat in den letzten Jahren riesige Fortschritte bei der Diagnostik und Therapie von verschiedenen Krankheiten gemacht und damit die Lebenserwartung unserer Bevölkerung stark erhöht. Damit steigt aber auch die Komplexität der Betreuung unserer Patienten und deren Angehörigen, und es wird immer schwieriger, diese aktiv in den Entscheidungsprozess einzubinden. Eine gute, sprich professionelle Kommunikation zwischen Patient/Angehörigen und dem betreuenden medizinischen Team nimmt daher eine immer wichtigere Stellung ein. Deshalb soll die Kommunikation aktiv in der Aus- und Weiterbildung gelehrt werden. Wird der Arzt durch ungenügende Kommunikationsfähigkeiten beispielsweise als dominant oder uninteressiert wahrgenommen, erhöht sich das Risiko für Klagen der Patientenseite.

Professionelle Kommunikation ist die Basis einer guten Arzt-Patient-Beziehung. Sie ist ein wichtiges Instrument zur Eruierung und Einordnung der Beschwerdesymptomatik und zur Einleitung einer entsprechenden Diagnostik und Therapie. Heute lassen sich 90% aller medizinischen Diagnosen durch eine gewissenhafte Anamnese und körperliche Untersuchung sichern. Eine gute Kommunikation kann relevante Faktoren wie Patientenzufriedenheit oder Effizienz und Genauigkeit der Therapie signifikant beeinflussen und steigern.

​Mit der Assistenzprofessur «Medizinische Kommunikation» haben die Universität Basel und das Universitätsspital Basel eine Pionierrolle und Vorbildfunktion eingenommen. Das Ziel ist es, sowohl junge Medizinstudierende als auch bereits etabliertes medizinisches Personal auf diese schwierige Aufgabe der professionellen Kommunikation optimal vorzubereiten, ihnen diese Fertigkeiten beizubringen und weiter zu verbessern. Dabei müssen verschiedene, kommunikativ schwierige Situationen in unterschiedlichen Bereichen, Professionen und Fächern berücksichtigt werden. Für mich eine hoch spannende Aufgabe.

​Christian Emsden, Fachverantwortlicher Medizinische Intensivstation ICU/CCU​

Christian Emsden, Fachverantwortlicher Medizinische Intensivstation ICU/CCU

Ein Beispiel aus der Sprechstunde:

Herr E. (58) bricht am Frühstückstisch zusammen und liegt regungslos am Boden. Frau E. reagiert schnell und richtig: Sie wählt 144, stellt das Telefon auf Lautsprecher und legt es neben sich auf den Boden. Gleichzeitig fängt sie mit der Wiederbelebung an, welche sie bis zum Eintreffen der Sanität fortführt. Die Sanität übernimmt die Reanimationsmassnahmen und dokumentiert später in ihrem Protokoll die Wiederherstellung eines spontanen Kreislaufs nach 20-minütiger Reanimation. Beste Voraussetzungen für Herrn E. – seine Frau hat vorbildlich reagiert und schnell die nötigen Massnahmen ergriffen.

Im USB erhält Herr E. mehrere Stents in den Herzkranzgefässen und kommt gegen Mittag auf die Medizinische Intensivstation. Dort beginnt man für zwei Tage eine therapeutische Isothermiebehandlung: eine exakte Steuerung der Körpertemperatur, welche das Ausmass der neurologischen Schäden reduziert und die Überlebenschancen von Herrn E. erhöht. Frau E. muss geduldig abwarten, ob sich ihr Mann von dem schweren Herzinfarkt und der Wiederbelebung erholt. Herr E. wird nach drei Tagen langsam wieder wach und kann von der künstlichen Beatmung entwöhnt werden. Er ist jedoch die nächsten sechs Tage in einem akuten Verwirrtheitszustand (Delir), von dem viele Intensivpatienten betroffen sind. Auch die während der Reanimation gebrochenen Rippen bereiten ihm immer wieder starke Schmerzen. Durch die akute Bewusstlosigkeit hat er zudem während der Wiederbelebung Sekret eingeatmet und hat eine Lungenentzündung. Zehn Tage nachdem Herr E. im Beisein seiner Frau zusammengebrochen ist, wird er auf die Bettenstation verlegt, kommt eine weitere Woche später in eine Rehaklinik und ist fünf Wochen nach dem Ereignis wieder zu Hause. Doch Herr E. und Frau E. realisieren beide: Nichts ist mehr, wie es war.

Herr und Frau E. kommen in die Sprechstunde. Auch die Tochter ist gekommen.

Frau E.: «Ich mache mir grosse Sorgen um deinen Vater. Was ist, wenn so was nochmal passiert und niemand bei ihm ist? Er hat sich verändert. Irgendwie ist er nicht mehr derselbe wie vorher. Manchmal hat er solche Phasen, wo er sich an Namen von unseren Freunden nicht mehr erinnern kann. Und er vergisst immer wieder Sachen. Er ist manchmal auch so gefühlskalt… Wenn ich mit ihm reden will, komme ich nicht an ihn ran. Das macht mir sehr zu schaffen. Der Arzt in der Rehaklinik hat gesagt, dass er mit dem Rauchen aufhören und weniger Wein trinken solle, aber von mir lässt sich dein Vater da ja nichts sagen. In drei Wochen soll er wieder arbeiten gehen. Der Hausarzt meint, das wäre kein Problem. Ich bin mir da wirklich nicht so sicher. Und ich? Fragt mich mal jemand, wie es mir geht?», (weint), «Ich kann, seitdem das passiert ist, nicht mehr schlafen. Nachts wache ich schweissgebadet auf und schaue erst mal, ob er noch atmet. Immer wieder kommen mir diese schrecklichen Bilder hoch, als ich deinen Vater unter dem Esstisch liegend wiederbeleben musste und die Bilder mit all den Schläuchen auf der Intensivstation. Ich traue mich manchmal kaum mehr aus dem Haus.»

Herr E.: «Ja, was soll ich sagen. Mir geht’s eigentlich ordentlich. Ich weiss ja gar nicht so recht, was passiert ist. Mit einem Mal gingen die Lichter aus und irgendwann in der Rehaklinik bin ich dann wieder zu mir gekommen. Wobei, ich weiss noch, dass da auf der Intensivstation ein einziger Bahnhof war. Immer ein ständiges Rein und Raus, die vielen Leute, und der Schaffner hat ständig gepfiffen, dass der Zug abfährt. Aber ich hab’ ihn nie erwischt. Das war schon ein Kampf. Aber irgendwie war das alles wie im Nebel… Ich schlafe nicht mehr so gut in letzter Zeit, aber zwei, drei Gläser Wein am Abend machen mich dann schon müde, da kann ich wenigstens einschlafen. Die Herz-Medikamente machen mich sowieso auch müde. Mein Kreislauf kommt ja gar nicht mehr in Schwung. Mal schauen, wie es mit dem Arbeiten geht … Mein Chef wird schon schauen …»

In der Post-ICU-Sprechstunde werden alle belastenden Themen mit Herrn und Frau E. im Beisein ihrer Tochter besprochen. Die Zeit während des Intensivstationsaufenthaltes wird rekonstruiert, auch anhand des Patiententagebuchs. Mit Herrn E., seiner Frau und der Tochter wird ein begleiteter Besuch auf der Intensivstation gemacht. Beides wissenschaftlich untersuchte, wirksame Massnahmen, um eine posttraumatische Belastungsstörung zu reduzieren.

In der Sprechstunde werden auch Themen wie Änderung des gesundheitsbezogenen Verhaltens, Selbstmanagement und hilfreiche Strategien im Umgang mit dieser lebensverändernden Situation an- und besprochen. Der Hausarzt von Herrn E. erhält in der darauffolgenden Woche einen detaillierten Bericht mit ausführlichen Informationen und klaren Empfehlungen Frau E. erhält parallel dazu einen ambulanten Termin in der Psychosomatik-Sprechstunde, um die Anzeichen für eine posttraumatische Belastungsstörung genauer abzuklären und ihr ein professionelles Angebot zur Traumabewältigung zu ermöglichen.



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