Editorial

Es ist nie zu spät

… sich auf den Weg zu machen. Ich denke dabei an Matthias Wimmer und das Urologie-Team, die sich auf eine Reise begaben, an Johanna Biedermann, die im späten Karriereabschnitt intern den Job gewechselt hat, an Silvia Haag, die durch ihre Erkrankung neue Seiten in sich entdeckt, an Sabine Kohler, die auf Medizin 7.2 nichts am Wegrand liegen lässt und an Heinz Schuhmacher, der auf einem Spaziergang im Sommer an Weihnachten erinnert wird. Diesen und weiteren Mitmenschen werden Sie in dieser Gazzetta-Ausgabe begegnen. Alle geben uns Botschaften mit auf den Weg. Botschaften, die vielleicht genau ins Zentrum treffen.

«Zeige dich, wie du bist oder sei, wie du dich zeigst.» Dieser Sinnspruch des persischen Dichters Rumi aus dem 13. Jahrhundert ist mir kürzlich zugefallen. Sie kennen das? Manchmal fliegen einem Botschaften zu. Doch was wollen sie sagen? Es ist nie zu spät, in sich zu gehen.

Ich wünsche Ihnen viele frohe Botschaften und die Zeit, diese mitzunehmen auf Ihren Weg.


Ihre Gina Hillbert


Es ist nie

zu spät

Ein Heimspiel: Hebamme Sibylle Mangold (links) mit der ehemaligen, langjährigen Co-Leiterin Hebammen und Stationsleiterin Mutter-Kind-Station, Johanna Biedermann, am Pflegewagenauf der Schwangerenabteilung. Nach 20 Jahren in leitender Funktion in der Frauenklinik wechselte Johanna Biedermannvor gut einem Jahr zur ICT und ist seither leidenschaftlich für das Team Klinische Projekte und Business Partner im ganzen Haus unterwegs.

Ein Heimspiel: Hebamme Sibylle Mangold (links) mit der ehemaligen, langjährigen Co-Leiterin Hebammen und Stationsleiterin Mutter-Kind-Station, Johanna Biedermann, am Pflegewagenauf der Schwangerenabteilung. Nach 20 Jahren in leitender Funktion in der Frauenklinik wechselte Johanna Biedermannvor gut einem Jahr zur ICT und ist seither leidenschaftlich für das Team Klinische Projekte und Business Partner im ganzen Haus unterwegs.


Veränderungen im Arbeitsleben. Manchmal kommen sie überraschend, gar zwingend, manchmal zeichnen sie sich ab. Bei Johanna Biedermann näherten sie sich auf stillen Sohlen. Keiner hat es geahnt und zugetraut hat sie es sich wohl selbst zunächst nicht.

Ich treffe Johanna Biedermann, langjährige Mitarbeiterin, die in unserem Spital zu den bekannten Gesichtern gehört. Sie war auch für mich eine Institution, eine feste Anlaufstelle für verschiedene Anliegen, die ich an die Mutter-Kind-Station richtete. Johanna, ein sicherer Wert, zuverlässig, hilfsbereit, schnell reagierend, leidenschaftlich bei der Sache und immer auch für einen unkonventionellen Weg zu haben. So mein eingeprägtes Bild von ihr.

Kein Bildnis machen
Eines Tages fragte mich ein Arbeitskollege, der häufiger bei der ICT verkehrte: «Hast du gewusst, dass Johanna in die ICT gewechselt hat?» Zugegeben, da blieb mir kurz die Puste weg. «In die ICT? Das kann ich mir nicht vorstellen. Wir meinen dieselbe Person, ja?» Und dann passiert Folgendes: Die Fantasie geht mit einem durch. Was ist geschehen? Nicht im Geringsten vorstellbar, dass Johanna freiwillig ihr geliebtes und angestammtes Arbeitsfeld geräumt hat, um … (Entschuldigung, liebe ICT) ausgerechnet bei der ICT eine neue Heimat gefunden zu haben. Das kommt beinahe einer Transformation gleich. Die Wahrheit sollte mich und wohl zahlreiche andere Kolleginnen und Kollegen eines Besseren belehren. Ja, es stimmt: Du sollst dir kein Bildnis machen.
Rasch war klar: keine Sorge. Aus der Ferne erlebte ich Johanna fortan im Centro in Zivilkleidung, im neuen Kreis von Kolleginnen und Kollegen aus der ICT: wie bis anhin offen, interessiert und mit Leib und Seele dabei. Also keine Veränderung mit negativen Folgen, keine Nachwehen, kein Schmerz, keine Wehmut. Da wurde mir klar: Ich möchte Johanna zu einem Gespräch treffen und sie bitten, mir ihren Wandel aufzuschlüsseln, vor allem aber wollte ich sie für einen Gazzetta-Beitrag gewinnen, in dem sich Mitarbeitende, die an einem Wendepunkt stehen, wiederfinden und möglicherweise einen Schub guten Mutes bekommen.

Und so geschehen
Kurz zusammengefasst für Kurztextleserinnen und -leser: Johanna Biedermann ist immer noch dieselbe, sagt jedoch heute über sich: «Ich habe mich durch diese Veränderung selber neu kennengelernt». Sie ist gewohnt leidenschaftlich auch in ihrer neuen Aufgabe unterwegs und dies mit Sicherheit bis zu ihrem letzten Arbeitstag vor der Pensionierung. Salopp gesagt: Sie ist immer noch die Alte, erfindet sich aber neu … und bleibt dabei jung.

Ende 1997 kommt Johanna Biedermann als Hebamme ins USB. Bereits sechs Monate später wird sie Teamleiterin der Schwangerenabteilung, «notfallmässig», wie sie sagt. Unmittelbar danach avanciert sie zur stellvertretenden leitenden Hebamme und leitet die Abteilung von 2003 bis 2007. Im September 2007 übernimmt sie «von einem Tag auf den anderen» die Mutter-Kind-Station und leitet diese beinahe zehn Jahre lang. Jahre vergehen, langsam beginnt sich die Pensionierung am Horizont abzuzeichnen. Johanna hört immer mehr in sich hinein und fragt sich: «Will ich das noch bis zur Pensionierung? Unregelmässige Arbeitszeit, die Verantwortung einer Stationsleiterin, mitunter die Besorgtheit, allem und jedem gerecht zu werden, der immer grösser werdende Druck». Aus ein paar Ferientagen zurückgekehrt, erfährt sie, dass eine Mitarbeiterin für die Einführung der Pflegedokumentation in Meona gesucht wird. «Das traf mich wie der Blitz», erzählt sie. Bereits einen Tag danach sucht sie das Gespräch, denn sie spürt: «Das könnte etwas für mich sein». Aber es kommen ihr auch Selbstzweifel: «Habe ich überhaupt eine Chance?» Es folgen schlaflose Nächte, bevor Johanna Biedermann sich sicher ist: Das wage ich. Das will ich. Das traue ich mir zu. Und wenn es nicht klappt, wenn man mich nicht will, dann gehe ich halt im kommenden Jahr schon in Pension.

Es hat geklappt – und wie!
Sich in knapp drei Monaten lösen zu müssen von der Führungsaufgabe, bedeutete ein grosses Stück Arbeit, schliesslich war da auch Johannas liebgewonnenes Team, Kolleginnen und Kollegen verschiedener Gremien und Arbeitsgruppen, mit welchen der Umgang freundschaftlich war. Und Johanna wäre nicht Johanna, wenn sie nicht auch mit Leidenschaft Stationsleiterin gewesen wäre. Viele sagen ihr: «Es ist doch schade, so kurz vor der Pensionierung diesen Wechsel zu machen. Du hast das doch hier so lange gemacht». «Genau. So lange. Es reicht. Es ist genug. Ich war über mich selbst erstaunt, dass ich dies nach 30 Jahren Führungsfunktion so klar wusste. Es kam mir so vor, als würde ich mich neu kennenlernen. Im Bewusstsein, dass mein Entscheid gut und richtig ist, nahm ich definitiv Abschied.»


Angekommen
«Wenige Tage später, an meinem ersten Arbeitstag als neue Mitarbeiterin der ICT, fühlte ich, dass ich schon angekommen war». Dabei hatte Johanna Biedermann gar keine Zeit, sich vorzubereiten auf den völlig andersartigen Arbeitsbereich, war schon von der ersten Stunde an sehr gefordert und musste sich eindenken in eine Welt, die hauptsächlich aus Programmen und Systemen besteht. Aber Johanna ist geübt im Denken und Handeln nach Konzept und Prozessen. Ihre Erfahrung, die sie vom Stationsleben mitbringt, erweist sich rasch als gewinnbringend. Denn sie weiss, was Pflegefachleute brauchen, sie kennt die Probleme und die neuralgischen Punkte. Ihre Sprache ist «vom Fach» und sie wird auch als «eine von uns» wahrgenommen und akzeptiert. Es fällt ihr mit jedem Tag im neuen Job leichter, Lösungen auf die Spur zu kommen und diese vorzuschlagen. Sie versteht es einerseits, mit dem Fach- personal zu sprechen, sie kennt die Facetten pflegerischer Massnahmen aus dem Effeff, und andererseits, für die technischen Lösungen zu übersetzen. Die ICT hatte den richtigen Riecher, als man sich für Johanna Biedermann entschied. In der Management-Sprache: eine Win-win- Situation.


Das Wichtigste für Johanna ist, sich unter ihren neuen, mehrheitlich altersmässig jüngeren männlichen Kollegen hundertprozentig akzeptiert und unterstützt zu wissen. Es ist heute so, «als wäre ich nie in einem anderen Bereich tätig gewesen. Ich bin Feuer und Flamme für meine neuen Aufgaben und lerne täglich viel Neues dazu. Zwar habe ich im ersten Jahr in der ICT im Einführungsteam ePdoc gewirkt, heute werde ich als Teammitglied Klinische Projekte und Business Partner jedoch auch anderen Projekten zugeteilt. Es ist also nie zu spät, noch einmal etwas Neues anzugehen. Für mich hat sich durch diese berufliche Veränderung eine neue Lebensqualität ergeben. Ich bin einfach total zufrieden». Was sich übrigens auch darin zeigt, dass sich Johanna Biedermanns Pensionierung um zwei Jahre nach hinten verschoben hat.


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