Editorial

Es ist nie zu spät

… sich auf den Weg zu machen. Ich denke dabei an Matthias Wimmer und das Urologie-Team, die sich auf eine Reise begaben, an Johanna Biedermann, die im späten Karriereabschnitt intern den Job gewechselt hat, an Silvia Haag, die durch ihre Erkrankung neue Seiten in sich entdeckt, an Sabine Kohler, die auf Medizin 7.2 nichts am Wegrand liegen lässt und an Heinz Schuhmacher, der auf einem Spaziergang im Sommer an Weihnachten erinnert wird. Diesen und weiteren Mitmenschen werden Sie in dieser Gazzetta-Ausgabe begegnen. Alle geben uns Botschaften mit auf den Weg. Botschaften, die vielleicht genau ins Zentrum treffen.

«Zeige dich, wie du bist oder sei, wie du dich zeigst.» Dieser Sinnspruch des persischen Dichters Rumi aus dem 13. Jahrhundert ist mir kürzlich zugefallen. Sie kennen das? Manchmal fliegen einem Botschaften zu. Doch was wollen sie sagen? Es ist nie zu spät, in sich zu gehen.

Ich wünsche Ihnen viele frohe Botschaften und die Zeit, diese mitzunehmen auf Ihren Weg.


Ihre Gina Hillbert


Leben

ins Gesicht

«Krebs stellt das Leben auf den Kopf und ist körperlich und emotional eine schwere Belastung». Dieser Satz im Flyer «Beauty-Workshops für Krebsbetroffene» der Stiftung Look Good Feel Better lässt erahnen, wie stark eine Krebserkrankung ins Leben eingreift, einen verändert: innerlich und auch äusserlich.

«Ich habe mich sehr auf den Beauty-Workshop gefreut», erzählt Silvia Haag, Krebspatientin im Universitätsspital Basel. «Während einer Chemotherapie hat mich eine Pflegefachfrau auf das Angebot von Look Good Feel Better aufmerksam gemacht. Vor dem Workshop-Termin war mir etwas mulmig, aber als ich dann darüber eine Sequenz in einer Fernsehsendung sah, machte mir das Mut. Sich als Krebspatientin zu outen, ist nicht einfach, denn man sieht es uns an».

Vor mir ein Spiegel
Silvia Haag sitzt mit rund einem Dutzend Krebspatientinnen an einem liebevoll vorbereiteten Tisch. Die Leiterinnen des Beauty-Workshops der Stiftung Look Good Feel Better überlassen nichts dem Zufall: Alles ist schön. Die Teilnehmerinnen fühlen sich willkommen und dürfen sich schon bald ans Auspacken der Geschenktasche machen, in denen sich verschiedene Kosmetikprodukte befinden, mit denen die Teilnehmerinnen anschliessend «arbeiten». Jede Frau hat ein anderes Set. Auch das gehört zum Konzept: Die Frauen vergleichen, sie kommen dadurch miteinander ins Gespräch. Die Atmosphäre lockert sich zunehmend. Immer wieder eindrücklich der Moment, wenn die Teamleiterin des Workshops sagt, dass man die Perücke oder das Tuch abnehmen darf. Silvia Haag legt ihr Tuch ab. Das geschieht völlig selbstverständlich in dieser Situation, aber sie erinnert sich: «Der drohende Haarverlust war für mich ein Albtraum. Es war mir bewusst, die Haare werden mir ausfallen. Unmittelbar nach der ersten Chemo ging ich zum Coiffeur und liess mir die Haare abrasieren. Dabei sah ich nicht zu. Spiegel verdeckt. Augen zu und durch. Die Perücke hatte ich mir präventiv anfertigen und Microblading für die Augenbrauen machen lassen. Mein Äusseres war mir wichtig. Wichtiger denn je. Ich wollte nicht als Krebskranke erscheinen».

Der Spiegel und ich
«Im ersten Monat konnte ich mich nicht anschauen. Ich war mir zu fremd. Erstaunt über mich selbst war ich, dass ich mich auch mit Perücke nicht ertragen habe. Das war nicht ich». Also weg mit dem Ding. In der Öffentlichkeit trägt sie ein Tuch, zu Hause legt sie es erst nach und nach ab und nur, wenn sie mit ihrem Mann allein ist. Allmählich kann sie sich wieder im Spiegel anschauen. Und auch nach aussen habe sich etwas verändert: Statt sich zu verstecken, wurde sie immer offener. «Mich gehen lassen, das war keine Option». Während des kostenlosen Beauty-Workshops erfahren die Teilnehmenden, wie sie die sichtbaren Spuren ihrer Therapie kaschieren und ihr Gesicht zum Strahlen bringen können. Dabei werden sie von professionellen Schönheitsberaterinnen der Stiftung Look Good Feel Better begleitet. Silvia Haag erlebt den Workshop als willkommene Abwechslung und als Bereicherung. Wie alle Teilnehmerinnen lässt sie sich gerne von den Schönheitsberaterinnen anleiten und nimmt aufmerksam Tipps entgegen. «Ich habe im Workshop viel gelernt. Vor der Krankheit habe ich zu mir selber nicht so sehr Sorge getragen. Jetzt gebe ich mir viel mehr Mühe und nehme mir die Zeit; denn mich schön zu machen, bereitet mir Freude. Der liebevolle Umgang mit mir und mit diesen schönen Produkten, das gönne ich mir jetzt täglich, denn das bringt Leben in mein Gesicht».

Mir gefällt, was ich sehe
Das sanfte Einmassieren der Gesichtscrème geschieht wie von Zauberhand. Bis allerdings der Lidstrich sitzt, braucht es ein bisschen Geduld. Bei dieser Übung wird in der Runde auch gelacht, denn so einfach ist das nicht. Dezentes Wangenrouge im richtigen Winkel aufgetragen zaubert schliesslich allen Teilnehmerinnen ein Lächeln ins Gesicht: Mir gefällt, was ich sehe, scheinen sie auszustrahlen. Auch Silvia Haag ist sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis und mit sich. Der Workshop-Besuch hat ihr eine weitere Türe zu sich selber geöffnet. «Schon bald nach der Diagnose habe ich mir gesagt: Es ist deine Krankheit. Du musst mit ihr zurande kommen. Inzwischen höre ich viel stärker auf mich, bin selbstbewusster und offener, was allen hilft, die mir nahestehen. Ich habe mich wie neu kennengelernt. Wenn ich in den Spiegel blicke, kann ich sagen: Mir gefällt, was ich sehe. Ich möchte mich nicht verstecken».


Look Good Feel Better
Seit 2006 werden im Universitätsspital Basel die kostenlosen Beauty-Workshops für Krebsbetroffene der Stiftung Look Good Feel Better durchgeführt. Das USB ist eines von mittlerweile über 50 Spitälern in der Schweiz, wo die Stiftung mit ihrem Programm präsent ist. Look Good Feel Better ist ein gemeinnütziges Engagement führender Kosmetikunternehmen in der Schweiz in Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden, Spitälern und Kosmetikerinnen. Die Beauty-Workshops haben zum Ziel, das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl von an Krebs erkrankten Frauen, Männern und Jugendlichen wiederherzustellen und zu stärken. Dabei spielt der ungezwungene Austausch unter den Betroffenen während der Workshops eine wichtige Rolle und trägt viel zum Feel-Better-Effekt bei. Das Programm von Look Good Feel Better ist nicht medizinisch sowie produkt- und markenneutral. Die Schönheitsberaterinnen, welche die Workshops betreuen, arbeiten alle ehrenamtlich für die Stiftung.



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