Editorial

Tradition ist Tradition

Hervorgeholt das gute alte Kochbuch. Die Seite mit dem Rezept für Mailänderliteig klappt beinahe von allein auf. Es ist wieder so weit. In guter Familientradition mache ich mich ans Backwerk für das Weihnachtsfest. Ich weiss, was von mir erwartet wird: keine Experimente, sondern die klassischen Mailänderli in den Formen Herzen und Sterne. Nichts Zweifarbiges mit Schoggiteig, keine Verzierungen mit bunten Streuseln oder Silberperlen, keine farbige Glasur, nicht Leuchttürme oder Flusspferde als Ausstecherli, obwohl es mich ja schon reizen würde, etwas zu verändern an unserem traditionellen Mailänderli: Dem doch recht einfachen Butterteig eine neue Geschmacksnote unterzurühren, das juckt jedes Jahr unter den Fingern, schliesslich finden sich einige Preziosen in meinem Backwerkschatz. Bevor ich schliesslich übermutig(-mütig) werde, glaube ich, meine Mutter zu hören: «Finger weg vom Teig!» Sie hat zwar damals etwas Anderes gemeint, aber ich halte sofort inne, beende meine Phantastereien. Ja, ich weiss, einfach und ergreifend soll es sein. Jedenfalls gemäss unserer Familientradition. Jedem aber sein eigenes My-Länderli, nicht wahr?

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen die Weihnachten, wie Sie sie lieben oder lieb gewonnen haben. Oder schlicht Tage, an denen Sie die Süsse des Lebens geniessen.


Ihre Gina Hillbert


Big Data

Patienten einzigartig beschreiben

Datenzentrierte Entscheidungsfindung mittels Datenelementen

Datenzentrierte Entscheidungsfindung mittels Datenelementen

Was hinter dem Begriff Big Data steckt, was wirklich «big» daran ist und wie die Lücke zwischen Forschung und tatsächlicher Anwendung geschlossen werden könnte, dazu Dr. Bram Stieltjes, Leiter Abteilung Forschung & Analyse, im Interview.

Bram Stieltjes, «Big Data» und «Personalisierte Medizin» – zwei im USB viel zitierte Begriffe. Was verbirgt sich dahinter?
Bram Stieltjes: Nun, das sind zwei recht komplizierte Begriffe, die ich gerne erklären möchte: Unter «Personalisierte Medizin» verstehen wir das Ziel, Patientinnen und Patienten nicht mehr symptombezogen zu klassifizieren und somit nur sehr grobe grosse Gruppen von vermeintlich ähnlichen Patienten zu bilden und zu behandeln, sondern den Patienten in seiner Einzigartigkeit bestmöglich zu verstehen, um eine massgeschneiderte Behandlung zu ermöglichen. Um einen Patienten wiederum so einzigartig beschreiben zu können, benötigen wir eine grosse Datenmenge, also «Big Data». Hinter dem Begriff verbergen sich aber eine ganze Menge an technischen und anderen Fähigkeiten und Prozessen, die man braucht, um all diese Daten in der richtigen Form zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung stellen zu können.
Von welchen Fähigkeiten reden wir hier?
Der Begriff «Big Data» ist etwas unglücklich gewählt, weil es nicht nur um grosse Datenmengen geht, sondern um handlungssteuernde Informationen. Somit verbirgt sich hinter dem Begriff nicht «Wie bekomme ich so viele Daten wie möglich in einen grossen Topf?», sondern «Wie extrahiere ich zeitgerecht aus diesen Daten genau die Informationen, die ein Arzt, Klinikleiter oder das Pflegepersonal benötigen?» Mit Fähigkeiten meinen wir, einen effizienten Datenstrom innerhalb des USB aufzubauen und eine intelligente und intuitive Darstellung der daraus gewonnenen Informationen in einem einzigen System zu ermöglichen und zu visualisieren. Ein gutes Beispiel für die zukünftige Entwicklung ist der «Digitale Zwilling» (Digital Twin), also eine Darstellungsform, bei der man viele Datenpunkte intuitiv sichtbar machen kann.
Was zeigt der Digital Twin?
Der Arzt sieht ein Hologramm eines Patienten mit der Abbildung aller Organe und deren funktionalem Status – und zwar auf einen Blick. Das heisst, er erkennt unmittelbar, ob das Herz, die Leber et cetera gesund sind, ohne all die Messwerte einzeln betrachten zu müssen. Weiter ermöglicht der Digital Twin eine Behandlungssimulation mit den entsprechenden Medikamenten, also welche Wirkungen verschiedene Behandlungen hätten. Datenelemente wie Laborwerte, MRI und EKG werden in einem Bild zusammengesetzt und somit Hunderte Messwerte intuitiv repräsentiert.
Ist also Zweck und Nutzen von Big Data die Darstellung von Daten?
Genau. Wie zeigen wir die Daten, die wir über unsere Patientinnen und Patienten erheben: rechtzeitig, intuitiv verständlich – und zur richtigen Entscheidungsunterstützung geeignet. Big Data ist eben nicht nur ein technisches Tool-Set, sondern noch viel mehr die Herangehensweise, ein Mindset dafür, wie man mit Daten umgehen muss, um personalisierte Medizin zu ermöglichen.
Schlagwort «Personalisierte Medizin». Was ist die grösste Herausforderung?
Heute orientiert sich die Behandlung der Patientinnen und Patienten vornehmlich noch an den Strukturen der Abteilungen. Konkret heisst das, dass jede Abteilung ihre eigenen Datensilos getrennt voneinander aufbaut und bestimmt, auf welche Weise und wann welche Informationen beziehungsweise Daten ein- und weitergegeben werden. Entsprechend sind auch diagnostische Prozesse und Behandlungsprozesse nicht optimal miteinander verbunden oder gar integriert. Demzufolge kann Personalisierte Medizin im klinischen Alltag nur bedingt und mit viel Aufwand angewandt werden. Die grösste Herausforderung ist eine Veränderung in unserer Organisation.
Sind denn zum heutigen Zeitpunkt die Voraussetzungen für einen Umbruch vorhanden, um Personalisierte Medizin in den Kliniken tatsächlich anzuwenden?
Ja, ich beobachte intern in unserer Organisation eine Veränderung im Bewusstsein für interne Anpassungen und die Gewinnung entsprechender Ressourcen für die notwendigen abteilungsübergreifenden Massnahmen. Ein Beispiel dafür sind die interdisziplinär geführten Medizinischen Zentren am USB. Dahinter verbirgt sich die Absicht, unsere Organisation an den Patientenpfad anzupassen und Abteilungsgrenzen und damit verbundene Medienbrüche zu reduzieren. Weitere positive Signale sind die Kooperationen mit unseren Partnern aus der Industrie zum Thema integrierte Entscheidungsfindung (Integrated Decision Support): Diese Systeme sollen Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden und Managern dabei helfen, ihre Entscheidungen datengestützt treffen zu können. So arbeitet das USB zum Beispiel mit externen Partnern an der Entwicklung von Software-Lösungen, die eine datenzentrierte Strategie im Spital vorantreiben, was eine Personalisierte Medizin und damit eine wirkliche Datenintegration geradezu erzwingt.
Was kann man sich denn unter einer solchen Softwarelösung vorstellen?
Diese prototypischen Lösungen, zum Beispiel im Bereich des Prostata-Tumorboards, zeigen alle für die Behandlung entscheidungsrelevanten Daten aus den verschiedensten klinischen und diagnostischen Abteilungen auf einer Oberfläche an. Und ebenso ermöglichen sie eine intuitive Daten-Interpretation – also werden zum Beispiel anstelle von Hunderten von Tabellen und Texten einige spezifische Diagramme kreiert.
Welche konkreten Massnahmen brauchen wir, um am USB in den kommenden Jahren Personalisierte Medizin zu ermöglichen?
Die wichtigste Voraussetzung innerhalb des USB ist die grundsätzliche Haltung gegenüber unserem Umgang mit Daten in jedem Bereich in unserem Haus – und zwar im Sinne einer datenzentrierten Strategie mit dem Ziel eines datengetriebenen USB. Das beinhaltet eine strukturierte Eingabe aller Daten von Beginn an (Eintritt des Patienten) und deren Ablage in nur noch einer zentralen Datenbank, die allgemein zugänglich ist. Aus dieser Datenbank können dann situations- und nutzerabhängig alle benötigten Informationen individuell zur Verfügung gestellt werden, wie ich es oben beschrieben habe. Und damit können wir enorm viel erreichen: Ohne zusätzlichen Aufwand könnten wir beispielsweise alle unsere Tumorzentren zertifizieren. Bisher sucht ein Team von Datenmanagern aus allen voneinander getrennten Datenbanken in den entsprechenden Systemen in Handarbeit die notwendigen Informationen zusammen. Es gibt noch viele weitere Beispiele, für die eine zentrale Datenbank die Lösung schlechthin wäre, damit wir eine hohe Flexibilität und Individualisierung in der Datenauswertung – und das zeitgerecht für viele Anwenderinnen und Anwender, also eine Demokratisierung der Daten im ganzen Haus, erreichen. Oder: Das Krebsregister muss verpflichtend ab 1. Januar 2020 vollständig mit allen behandlungsrelevanten Daten bestückt werden. Mit einem Big Data-System ginge das automatisch.
Was treibt Sie persönlich an, warum engagieren Sie sich für die Umsetzung von personalisierter Medizin am USB?
Ich komme aus der Grundlagenforschung in der Bildgebung und habe am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg als Arzt versucht, quantitative diagnostische Technologien zu entwickeln und in die Klinik einzuführen. Schon dort hat mich zunehmend die grosse Lücke zwischen Forschung und tatsächlicher Anwendung gestört. Als ich vor fünf Jahren zum USB gewechselt bin, war ein Hauptargument, hier am Schliessen dieser Lücke arbeiten zu können, gerade mit Fokus auf die personalisierte Medizin. Des Weiteren ist die interdisziplinäre Arbeit mit meinem Team aus Radiologen, Pathologen, Internisten, Mathematikern, Physikern und Informatikern sowie zwischen verschiedensten Abteilungen und Ressorts für mich und meine Arbeit eine grosse Bereicherung. Wenn alle zusammenspannen, machen wir grosse Schritte voran.
Und gibt es spannende Entwicklungen, auf die Sie sich freuen?
Wenn wir den Big Data-Ansatz erfolgreich umsetzen, erschliessen sich nächste Ebenen und Entwicklungsmöglichkeiten, zum Beispiel im Bereich maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz und personalisierter Gesundheit. Darauf freue ich mich.


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