Raum des Schreckens
Eine Simulation
Das Problem, dass Patientinnen und Patienten durch vermeidbare Fehler im Behandlungsprozess geschädigt werden können, wird unterschätzt.
Am 17. September 2019 proklamierte die WHO den ersten weltweiten Tag der Patientensicherheit. Gleichzeitig rief auch die Stiftung Patientensicherheit Schweiz die Spitäler dazu auf, sich für eine sichere Gesundheitsversorgung einzusetzen. Im Rahmen der diesjährigen Aktionswoche Patientensicherheit (16. bis 22. September 2019) beteiligte sich die Abteilung Patientensicherheit mit dem Simulationsteam der Intensivstation sowie einem Team aus dem OP-Bereich mit der interprofessionellen und interaktiven Simulationsübung, dem «Raum des Schreckens».
Beim «Raum des Schreckens» handelt es sich um eine niederschwellige Simulationsübung, die alltägliche Risiken und Gefahren widerspiegelt und so gut auf Lücken aufmerksam machen kann. Ziel dieser praxisnahen Übung ist es, die eigenständige und systematische Gefahrenerkennung für die Patientensicherheit in typischen Behandlungssituationen zu stimulieren. Weiter sollen in dieser Trainingsumgebung der eigene Lernbedarf zur Gefahrenerkennung und -vermeidung identifiziert und die kritische Auseinandersetzung mit eigenen Verhaltensweisen gefördert werden. Hierzu fanden Simulationsübungen auf sechs Bettenstationen mit anschliessendem Debriefing statt. Und im OP-Bereich gab es während sechs Tagen die Möglichkeit, die interaktive Lernumgebung mit wechselnden Szenarien zu besuchen.
Schreck lass nach
An den Simulationsübungen auf den sechs Bettenstationen nahmen insgesamt 34 Fachpersonen teil: 18 Pflegefachpersonen (53%), 12 Ärztinnen und Ärzte (35%), 4 Fachangestellte Gesundheit (12%). Die Gruppengrösse lag zwischen fünf und sieben Personen. Alle teilnehmenden Fachleute waren in der Lage, Fehler und Gefahren zu erkennen. Auffällig hierbei ist die Differenz zwischen den korrekt erkannten «implementierten» Fehlern (52%) und solchen, die von den Teilnehmenden zusätzlich genannt wurden (77%). Bei Letzteren bezog sich der Blick für die Risiken und Gefahren vor allem auf die Umgebung des Patienten (zum Beispiel falsch platzierter Nachttisch, nicht korrekt installierte Wandanschlüsse für Sauerstoff und Absauganlage) sowie auf Fehler, die den Patientenkomfort adressierten, beispielsweise ein leeres Trinkglas oder fehlende Lagerungsutensilien. Alle Teilnehmenden gaben an, dass sie vom kollegialen Fachaustausch in der Gruppe profitierten und die Mehrheit (94%) kann die Simulationsübung ihren Kolleginnen und Kollegen weiterempfehlen.
Während der Aktionswoche im OP-Bereich wurde ein OP-Saal für die Simulationsübung mit täglich wechselnden Szenarien eingerichtet (zum Beispiel Knie-TEP, Kraniotomie, aortokoronarer Bypass). Der Saal konnte tagsüber von allen OP-Mitarbeitenden im Sinne eines Walk-in besucht werden. Die Gefahrensuche sollte gemeinsam in kleineren Gruppen erfolgen. Insgesamt besuchten circa 60 Personen den Raum, wobei 23 Mal ein Evaluationsbogen ausgefüllt wurde. Auch hier waren die Teilnehmenden in der Lage, inszenierte Fehler und Gefahren zu entdecken sowie weitere, nicht absichtlich platzierte Fehler, zu benennen. Die Ergebnisse der Aktionswoche Patientensicherheit sind in einem internen Abschlussbericht festgehalten.
Der «Raum des Schreckens» im Angebot
Die Simulationsübung wird im USB seit 2018 als Fort- und Weiterbildung angeboten und in weiterentwickelter Form ab 2020 regulär am Einführungstag für neue Pflegende und Hebammen durchgeführt sowie nach Absprache mit den Stationen (interprofessionell) angeboten. Die Szenarien können den spezifischen Behandlungssituationen entsprechend angepasst werden.
Raum des Schreckens mit klassischem Szenario
1. Infektionsgefahr: Unvollständige Isolationsmassnahmen bei Tröpfchenisolation
2. Infektionsgefahr: Blasenkatheter ohne Indikation
3. Medikation: Kontraindikation Amoxicillin bei Penicillinallergie
4. Patientenunfälle (Sturzgefahr): Rollator ausser Reichweite des Patienten
5. Patientenunfälle (Sturzgefahr): Patientenrufglocke ausser Reichweite des Patienten
6. Klinische Prozesse: Blutzucker-Kontrolle / Nachspritzschema nicht verordnet bei Entgleisungsgefahr (Infekt)
7. Klinische Prozesse: Fehlende Pflegediagnose zu unwirksamem Atemvorgang & fehlende Verordnung für Atemphysiotherapie
8. Medikation: Doppelte Paracetamol Verordnung mit Gefahr der Überdosierung
9. Medikation: Kurzinfusion Amoxicillin mit 1.2 Gramm anstatt 2.2 Gramm verabreicht
10. Ernährung: Joghurt (nicht Lactose frei) auf dem Beistelltisch
11. Ernährung: Normalkost verordnet trotz Lactoseintoleranz
12. Infektionsgefahr: Leerer Händedesinfektionsmittelspender
Wie haben Sie die Simulationsübung erlebt? Was hat sie Ihnen gebracht und wie schätzen Sie den Nutzen dieser Übung ein?
Nachgefragt bei Lina Ronneberger, Dipl. Pflegefachfrau Chirurgie 6.2
Ich fand die Simulationsübung «Der Raum des Schreckens» im Allgemeinen sehr gut gelungen. Am Anfang waren wir alle etwas aufgeregt, weil wir nicht wussten, was uns erwarten wird. Wir bekamen dann als Erstes Informationen (Diagnosen, Medikamente etc.) über unseren Beispielpatienten und sollten sie uns durchlesen. Dann wurden wir in den Raum geschickt und sollten aufschreiben, was uns an Fehlern auffällt. Wir waren ein Team von Ärztinnen und Ärzten, diplomierten Pflegekräften und FaGes. Manche Fehler waren sehr offensichtlich und fielen uns direkt auf, wie zum Beispiel das zu hoch gestellte Bett oder das falsch markierte Bein. Andere waren schwieriger zu finden. Wir redeten die ganze Zeit miteinander und so fanden wir in Teamarbeit letztendlich auch fast alle Fehler. Was mir besonders aufgefallen ist, war, dass die Ärzte eher auf die medikamentösen, therapeutischen Fehler stiessen und den Pflegenden eher auffiel, was pflegerisch problematisch sein könnte – wie beispielsweise Gehstöcke in zu weiter Entfernung oder eine nicht eingesteckte Glocke. Ich denke, dass diese Übung vor allem den Zweck hat, bewusster auf mögliche Fehlerquellen zu achten und so mehr Sicherheit für den Patienten zu schaffen. Im alltäglichen Stress wird schnell mal etwas übersehen oder vergessen. Es ist sehr wichtig, dann kurz einmal innezuhalten und zu überlegen, ob man den Patienten in einer sicheren Umgebung zurücklässt, bevor man das Zimmer verlässt. Kann der Patient aufstehen? Hat er alles, was er braucht, in Reichweite? Und am wichtigsten: Kann er sich melden, wenn er Hilfe braucht? Es ist menschlich, Fehler zu machen und es passiert jedem. Ich denke, es ist wichtig, wie damit umgegangen wird und gerade im hektischen Alltag ist es entscheidend, dass man offen kommuniziert, andere aufmerksam macht und sich gegenseitig konstruktives Feedback gibt. Denn nur so können wir als Team effektiv zusammenarbeiten und für den Patienten die bestmögliche Behandlung sicherstellen.
Nachgefragt bei Dr. Josephine Nehring, Assistenzärztin, Intensivstation B
Ich habe die Simulationsübung als sehr bereichernd, interaktiv und effizient erlebt. Alleine und im Team eine geballte Ladung an versteckten, der Realität nachempfundenen Fehlern zu identifizieren, war ein klasse Training, um das Situationsbewusstsein zu schulen. Von Physiotherapeuten über Pflegepersonal bis zur Chefarztetage in meinen Augen ein Muss, diesen Raum erlebt zu haben. Was mir die Simulationsübung gebracht hat: Mein Situationsbewusstsein hat sich erneut geschärft und mir abermals aufgezeigt, dass ein interprofessioneller Austausch mehr als wichtig ist und täglich gelebt werden sollte. Zudem erinnerte mich die Übung daran, dass wir mit einem Spital einfach immer eine Hochrisiko-Institution darstellen. Das sollten wir trotz und gerade in Zeiten der Digitalisierung und Technisierung niemals vergessen. Den Nutzen schätze ich als enorm ein. Das wichtigste Instrument zur Verbesserung der Patientensicherheit ist das gemeinsame Lernen aus Fehlern. In dieser Übung konnte das Ganze spielerisch und ohne «Zeigefingerpolitik » umgesetzt werden. Weiter so!
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