Stimme und Stimmung -
ein harmonisches Duett
Patienten mit einer Erkrankung der Stimme brauchen einen Arzt, der weit mehr als die Stimmbänder in Einklang bringt. Wenn die Stimme dauernd heiser klingt, sich verändert oder ganz wegbleibt, ist dies für die Betroffenen eine schwierige Situation, die ärztlicherseits den Einsatz aller Frequenzen und zarter Töne erfordert.
Im Unispital Basel ist PD Dr. Claudio Storck, Leiter Phoniatrie und Leiter HNO Poliklinik, ganz nahe an der Stimme und somit auch an den Stimmungen seiner Patientinnen und Patienten. Er blickt ihnen nicht nur in den Hals, sondern in ihr Leben, auch wenn darüber manchmal kein Wort gesprochen werden kann. «Jede halbe Stunde eine neue Geschichte», so beschreibt der Phoniater seinen Berufsalltag. «Die Phoniatrie ist ein dankbares Fach und für mich wie ein grosser Blumenstrauss. Ich finde es wichtig, dass der Patient im Behandlungsverlauf immer denselben Arzt hat», so Storck. Die Arbeitssituation im USB, wie sie innerhalb der HNO organisiert ist, stimmt für ihn als Mensch und Arzt. Hier begleitet er seine Patienten vom Erstgespräch bis zur Nachsorgebehandlung, meistens über längere Zeit. Er behandelt sie mit seiner ganz persönlichen Stimmung, sozusagen im Duett.
«2006 habe ich mit etwa 250 Patienten pro Jahr angefangen, heute behandle ich über 1600 Patienten jährlich. Ich wünsche mir zufriedene und optimal versorgte Patienten. Dazu benötigt man Zeit und Gelassenheit.»
Heute ist sein Patient Rosario C. in der Gazzetta-Sprechstunde:
Rosario C. (50) ist ein stimmungsvoller Mensch. Ihn sich vorzustellen ohne Stimme – unmöglich. Und doch. Er hat sie durchlebt, die stimmlose Zeit.
Blick um zwei Jahre zurück
Plötzlich heftige Schmerzen im Oberkörper, links beim Herzen und bis zum Schlüsselbein hinauf. Der leidenschaftliche Motorradfahrer, der schon so manchen schweren Sturz er- und überlebt hat, denkt zunächst an eine gequetschte Rippe. Als Schmerzmittel nichts mehr nützen, sucht er den Hausarzt auf. Auf dem Röntgenbild zeigt sich ein grosser Fleck auf dem linken Lungenflügel. Rosario C. wird ins USB überwiesen, wo nach der PET-CT eine Gewebeentnahme erfolgt. Das Ergebnis könnte niederschmetternder nicht sein: bösartiger, grossflächiger Tumor an heikler Stelle nahe an Herz, Hals, Aorta. Drei Chemozyklen folgen mit den üblichen Nebenwirkungen. Mittlerweile ist Rosario C.s Stimme rau und kraftlos. Er, der bisher die Extreme im Leben gesucht hat und der es gewohnt ist, an seine Grenzen zu gehen, kommt an ein Limit. «Ich hatte grosse Angst und dachte an den Tod. Vorher kannte ich keine Angst. Das, was ich tat, war mein eigenes, berechenbares Risiko.» Und meint damit ein Leben zwischen Easy Rider und 1000-Kubik-Stuntman. Plötzlich ist Rosario C. schwer krank und auf Hilfe (auch von oben) angewiesen.
Blick um 36 Jahre zurück
Rosario ist 14 Jahre alt, als er sein Geburtsland Schweiz verlässt. In Rom, der Heimatstadt seiner Mutter, beendet der sprachbegabte Jüngling die Schulzeit und geniesst die Freiheit auf seiner schweren Maschine. Dass er einen schweren Motorradunfall, bei dem er 5 Tage im Koma liegt, überlebt, grenzt an ein Wunder. Wenn er nicht gerade Stunts am Set macht, arbeitet er als Reiseführer. Er kann gut reden, seine Stimme und sein Lachen kommen an. Rosario ist stets mit offenen Augen unterwegs. Es fällt ihm leicht, überall das Gute und Positive zu erkennen. Seine Liebe gehört der Freiheit. 12 Jahre lang lebt er in Costa Rica und führt Touristen durch dieses wunderschöne Land. Wegen seiner Eltern kehrt er schliesslich nach Europa zurück, in die Schweiz.
Die Umstellung fällt ihm schwer. Vieles ist anders, einfach nicht seine Welt. Hier kann er nicht atmen, fühlt sich unfrei. Und was für ihn besonders schwierig ist: Das Lachen fehlt. Er sieht es nicht. «Das machte mich krank», so Rosario, nach einer Erklärung für seine Krankheit suchend. Und wie es das Schicksal will, wenn es zuschlägt, dann tut es dies heftig. Rosario C. fällt. Er verliert die Arbeit, das Lachen, das Vertrauen, denkt an den Tod. Seine Lebenseinstellung, das Positive zu sehen, leidet und schwindet beinahe gänzlich. Es ist, als ob er es geahnt hätte: «Hier darfst du nicht krank werden», sagte er sich immer wieder. Doch genau das geschieht. Durch die Krankheit gerät er in eine existenzielle Abhängigkeit – das Schlimmste für den freiheitsgewohnten 50-Jährigen. Daran hat er schwer zu beissen.
Blick auf heute
«Ich will wieder hochkommen», sagt er heute. Dass seine Wohnung im 4. Stock ohne Lift liegt, sieht er positiv. «Das ist mein tägliches Training.» Er lacht. In unserer Sprechstunde sind Stimme und Lachen zurück. Beide kräftig. Das Gespräch strengt ihn offensichtlich nicht an, wie aufgrund seines Redeflusses erkennbar ist. Wie er denn seine Stimme verloren habe? «Nach der Chemotherapie war der Tumor kleiner geworden und musste schliesslich entfernt werden.» 9-stündige, schwierige Operation, komplette Entfernung des linken Lungenflügels. Rosario C. wusste, dass er nach dem Eingriff keine Stimme mehr haben würde. Sein behandelnder Arzt im USB, PD Dr. Claudio Storck, hatte ihm dieses Risiko zuvor erklärt. Um den Tumor sauber zu entfernen, war eine Durchtrennung der Stimmbandnerven unumgänglich. Die Stimme des Patienten war kraftlos, Rosario C. konnte sich nicht mehr verständigen. Sogar das Essen und Trinken bereiteten ihm Mühe. PD Dr. Claudio Storck erklärte ihm, dass mittels eines chirurgischen Eingriffs am Hals in örtlicher Betäubung ein Implantat in den Kehlkopf eingesetzt werden könne und die Stimme danach wieder funktionsfähig sei. «Ich wollte nach dem Stimmverlust nur noch alleine sein. Am liebsten als Dschungelmensch auf einer einsamen Insel, von Tieren umgeben und nur nicht sprechen müssen.» Nach dieser Operation konnte der sonst so kommunikative Rosario C. wieder sprechen, sich verständigen, sich mitteilen. Das Schlucken hat sich danach auch gebessert, was die Stimmung weiter positiv beeinflusst.
Rosario C. ist heute, zwei Jahre nach der Diagnose, noch nicht über dem Berg, aber im Aufstieg. Langsamer als gewohnt, sein Leben neu zusammensetzend, und mit mehr Geduld für sich selber. Er hat seine Stimme wiedergefunden und setzt sie ein zum Kämpfen, Lachen, Leben. Für die gute Behandlung und Betreuung, die er im Unispital erhält, ist er dankbar. Er hofft auf gute Nachuntersuchungsergebnisse und träumt von der Rückgewinnung seiner ganz persönlichen Normalität. Easy Riding, Rosario C., easy.
PD Dr. Claudio Storck ist Leiter Phoniatrie und Leiter HNO-Poliklinik und seit 10 Jahren am USB tätig. Nach dem Studium in Basel führten ihn seine Wanderjahre nach Innsbruck und Graz. Anschliessend zum Facharzt HNO absolvierte er den Schwerpunkt Phoniatrie und danach den Schwerpunkt Hals- und Gesichtschirurgie. Ein Zufall führte ihn vor 10 Jahren zurück in seine Heimatstadt Basel.
Seine Patienten kommen in erster Linie mit Heiserkeit und Schluckproblemen beim Essen und Trinken in die Sprechstunde. Sie klagen darüber, dass sie nicht mehr gehört oder verstanden werden. Sie haben Mühe, sich bei Sitzungen einzubringen, klagen über Erschöpfungsgefühle beim Sprechen. Es gibt Patienten, deren Stimme ausbleibt, die an komplettem Stimmversagen leiden. Weiter behandelt er Patienten mit organisch bedingten Stimmstörungen: Polypen, Zysten, Knötchen, Karzinom.
Das häufigste Krankheitsbild ist die funktionelle Stimmstörung, bei der die unzureichende Stimmtechnik ausschlaggebend ist. Viele Berufstätige haben einen Sprechberuf, ohne je professionell ergonomisch sprechen gelernt zu haben.
Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Untersuchung der Biomechanik des Larynx (trennt Luftröhre von der Speiseröhre). «Es ist enorm spannend, an einem Organ zu forschen, bei dem man glaubt zu wissen, wie es funktioniere. Doch bewiesen wurde so manche Besonderheit der komplexen Biomechanik nicht. Dies zu erleuchten, ist das Ziel dieser Forschung, um damit im klinischen Alltag die Patienten besser verstehen zu können und sie auch entsprechend optimal beraten und zu behandeln.»
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