Editorial

Haben Sie schon Mal auf die Macht des Wortes geachtet? Ich kann Ihnen versichern, sie ist stärker, als Sie vermuten.

Es passiert ständig: Ich bleibe in meinem Alltag an einem bestimmten Wort hängen. Nein, derzeit handelt es sich nicht um Schlagworte wie «Qualität», «Strategie» oder «Vernetzung». Nichts dergleichen! Mein Momentan-Wort lautet «Balance». Achten Sie doch mal darauf, welches Ihr Momentan-Wort ist, was es mit Ihnen macht und was Sie damit machen.
Achten Sie auf Ihre Worte.


Ihre Gina Hillbert

Für die Anliegen der Frau

Im Gespräch mit Frau PD Dr. Sibil Tschudin – Leitende Ärztin der Abteilung für Gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik am Universitätsspital Basel.

Frau Dr. Tschudin, Sie sind Frauenärztin, verstehen sich aber in erster Linie als Psychosomatikerin. Wie sind Sie in diese Rolle hineingewachsen?

Ich habe mich schon immer, also bereits während des Studiums, nicht nur für die körperlichen, sondern auch für die psychischen Aspekte des Krankseins interessiert. Psychosomatik in der Gynäkologie und Geburtshilfe war und ist die ideale Möglichkeit, beide Aspekte zu kombinieren. Zur Zeit meiner Ausbildung war es mir zudem wichtig, mich für die Anliegen der Frau einzusetzen, und dafür boten sich die Weiterbildung und der Einsatz in der Frauenheilkunde geradezu an.

Gibt es ein Erlebnis, das Sie geprägt hat?

Es gab unterschiedliche Situationen, die auf meinem Weg entscheidend waren. In der Gynäkologie/Geburtshilfe liegen Freud und Leid, Lebensanfang und Lebensende oft sehr nahe beieinander. Ich habe viele Situationen erlebt, die emotional höchst aufgeladen waren, darunter auch ganz schwierige Momente. Man ist mit Menschen konfrontiert, die Leid erfahren, das sie zuerst einmal akzeptieren und dann auch verarbeiten müssen. Das Befriedigende an meiner Arbeit ist, hierzu meinen Teil beitragen zu dürfen. Mittlerweile kann ich auf einen grossen Erfahrungsschatz blicken, der mir hilft, wo nötig auch wieder auf Distanz zu gehen. Diese Achtsamkeit, nicht nur den Patientinnen, sondern auch uns selbst gegenüber, hat in den letzten Jahren zunehmend Beachtung erlangt.

Nach welchem Ansatz gehen Sie und Ihr Team vor?

Wir orientieren uns an einer ganzheitlichen Herangehensweise und achten sehr darauf, was die Patientin, die uns gegenübersitzt, für Voraussetzungen mitbringt. Es gibt nicht eine einzige Therapieform, die wir anwenden. Im Allgemeinen verfolgen wir aber einen lösungsorientierten Ansatz. Auch wenn sich mit der Zeit bei der Patientinnenbetreuung eine gewisse Routine einstellt, so ist der Mensch hinter jeder Patientin einzigartig. Ins Unispital generell, speziell aber in unsere Abteilung kommen Patientinnen aus verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund – eine grosse Vielfalt, der wir versuchen wollen, gerecht zu werden. Meine Herausforderung, aber auch meine ungeteilte Freude besteht darin, die Frau, die mir gegenübersitzt, zu verstehen und sie zu unterstützen. Beraterisch tätig zu sein, bedeutet für mich auch Horizonterweiterung. Es finden sich immer wieder überraschende Beweggründe, andere Perspektiven. Das macht meinen Beruf so spannend.

Welche Eigenschaften und Voraussetzungen braucht es, um diese Aufgabe zu erfüllen?

Es braucht unbedingt gute kommunikative Fähigkeiten, die Möglichkeit zur Supervision, interdisziplinäre Zusammenarbeit und selbstverständlich ein gutes Team. Im Zentrum unserer Arbeit steht die Kommunikation. Sie hilft uns, einen Zugang zur Patientin zu finden. Zunächst geht es darum, in Erfahrung zu bringen, was die Frau beschäftigt, und dann gemeinsam einen Weg zu finden, wie sie mit ihrer Situation zurechtkommen kann. Gelegentlich gilt es einfach, eine Patientin darin zu unterstützen, besser mit ihrer Krankheit umgehen zu können. Aktives Zuhören ist unerlässlich. Einerseits braucht es Einfühlungsvermögen – Empathie – , aber andererseits gehen wir beim Befragen auch gezielt vor, zum Teil sogar entlang einer Checkliste. Gerade bei Fragen, die wir stellen müssen, auch wenn sie unbequem sind, ist dies hilfreich. Ein Behandlungskonzept als Gerüst hilft einem, an alles zu denken, und gibt beiderseits – der Patientin und uns selbst – eine gewisse Sicherheit. Wir unterstützen die Patientin darin, nicht nur den für sie richtigen Weg zu finden, sondern ihn dann auch zu gehen. Dabei beziehen wir auch Angehörige mit ein und arbeiten häufig interdisziplinär. In manchen Situationen hat es sich auch bewährt, präventiv nach etwas zu fragen. Wenn wir bei einem solchen Screening heikle Themen ansprechen, informieren wir das Gegenüber, dass es sich um routinemässige Fragen handelt und wir bei allen so vorgehen. Es ist beispielsweise nicht einfach, eine psychische Belastung anzusprechen, ohne dass sich die Patientin stigmatisiert fühlt.

Wo stossen Sie an Grenzen?

Bei unserer Arbeit sind wir immer wieder mit ethisch heiklen Themen konfrontiert. Technische Errungenschaften der Medizin bieten immer mehr Möglichkeiten. Beispiel dafür ist die Pränataldiagnostik. Das Paar erfährt, dass sein ungeborenes Kind eine Fehlbildung hat, und muss entscheiden, ob es einen Schwangerschaftsabbruch möchte oder nicht. Wir begleiten die Paare, die in einer solchen Situation an ihre Grenzen geraten in der Entscheidungsfindung. Gemäss unserer Erfahrung wissen die Paare im Kern, was sie wollen. Die Gratwanderung – und dies betrifft jede Einzelne im Team – ist wohl genau diese: der Patientin oder in diesem Fall dem Paar in der Auseinandersetzung mit einer schwierigen Situation beizustehen, ihm gerecht zu werden in seinem inneren Konflikt. Die eigene Meinung lässt sich dabei nie völlig ausblenden, aber ich muss mir meiner Position als Ärztin bewusst sein. Man muss diesbezüglich Distanz bewahren und den Betroffenen innerhalb der durch das Gesetz gegebenen Rahmenbedingungen die Entscheidung überlassen. Dies kann einen manchmal an Grenzen bringen.

Was ist das Besondere an der Abteilung Gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik?

Sie ist in ihrer Art ein Unikat. Es gibt keine andere Frauenklinik in der Schweiz, die eine fest in den Betrieb integrierte Abteilung für psychosomatische und psychosoziale Belange hat. Für uns alle hat sich das bewährt, unsere Abteilung ist – glaube ich – nicht mehr wegzudenken. Die Austauschwege sind kurz, wir sind immer ansprechbar für unsere Kolleginnen und Kollegen, wenn sie mit belastenden Situationen und schwierigen Patientinnen konfrontiert sind.

Wo sehen Sie den Fokus der Abteilung?

Häufig machen wir das zum Thema, wonach andere nicht oder selten fragen: Enttäuschendes, Trauer, Wut. Heikle Themen wie Sexualität oder Gewalt professionell anzusprechen, bedarf Fachkompetenz. Die Mitarbeitenden meiner Abteilung sollten darin geschult sein und die Anlaufstellen kennen, die wir unseren Patientinnen und Paaren anbieten können. Unsere Aufgabe sehen wir darin, in Problemsituationen da zu sein. Wir stellen fest, dass Frauen weiterhin ihre Interessen und Bedürfnisse zu wenig kennen und auch zu wenig äussern. Wir können dazu beitragen, dass sich Frauen besser wahrnehmen und achtsamer sich selber gegenüber sind. Wir unterstützen sie dabei. Ich denke, dass unsere Abteilung innerhalb des Universitätsspitals Basel durchaus wahrgenommen und geschätzt wird. Mit vielen Abteilungen pflegen wir einen regen Austausch, z. B. in den Roundtable-Runden. Das ist besonders bereichernd, weil wir voneinander lernen. Der Austausch ist auch eine wichtige Voraussetzung für eine qualitativ hochstehende Forschungstätigkeit in unserem Bereich und ist entscheidend hinsichtlich Qualitätssicherung. Ich stelle fest, dass wir zunehmend interdisziplinär miteinander unterwegs sind. Wir ergänzen uns gegenseitig – der Austausch und die Interdisziplinarität sind extrem bereichernd.

Was ist bei Ihnen gerade aktuell?

Einerseits ist dies die perinatale Depression: Wir haben ein Screening in die Schwangerenvorsorge integriert und mit Unterstützung der Gesundheitsdienste des Kantons Basel-Stadt und in Zusammenarbeit mit dem ZASS (Zentrum für affektive, Schlaf- und Stress-Störungen) der UPK ein interdisziplinäres Betreuungskonzept entwickelt. Andererseits ist auch das Thema häusliche Gewalt wieder aktuell: ein unangenehmes Thema, das aber nicht ausser Acht gelassen werden darf. Ich bin seit 12 Jahren Mitglied des runden Tisches «Halt-Gewalt». Auf der politischen Ebene sollte das Thema im Bewusstsein bleiben und wir müssen neue Kolleginnen und Kollegen dahingehend schulen, dass sie ihm im Klinikalltag Beachtung schenken. Auch einer Sexualmedizin auf universitärem Level möchten wir vermehrt Gewicht beimessen. Mein Kollege Gideon Sartorius, Professor Bitzer und ich haben gemeinsam eine interdisziplinär geführte Sprechstunde aufgebaut.

Frau Tschudin, was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass die Abteilung für Gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik auch in Zukunft die nötigen Ressourcen zur Verfügung haben wird, um ihre Angebote aufrechtzuerhalten und wenn möglich sogar noch ausbauen zu können. Sie soll ihren Vorzeigecharakter behalten und darf auf keinen Fall Sparmassnahmen zum Opfer fallen. Ich bin überzeugt, und dafür gibt es auch wissenschaftliche Evidenz, dass eine ganzheitliche Betreuung, die sich am biopsychosozialen Modell orientiert, zukunftweisend ist in der Medizin. Unsere Abteilung ist und bleibt hoffentlich ein Beispiel und Beweis dafür.

Die Leistungen der Abteilung für Gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik können in drei verschiedene Kategorien unterteilt werden: ambulante niederschwellige Beratungsangebote, ambulante spezialisierte Leistungen und integrierte Dienstleistungen.

Ambulante niederschwellige Beratungsangebote

Die Abteilung für Gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik ist die offizielle Schwangerschaftsberatungsstelle und eine der spezialisierten Beratungsstellen für Jugendliche unter 16 Jahren des Kantons Basel-Stadt. Eine zentrale Aufgabe ist daher die Beratung beim Schwangerschaftskonflikt und bei komplexen Fragen rund um die Verhütung.

Die Abteilung bietet zudem als Beratungsstelle für pränatale Untersuchungen beider Basel die seit Januar 2007 per Gesetz vorgesehene unabhängige Information und Beratung für pränatale Untersuchungen an.

Bei der Beratung orientieren sich die Ärztinnen am biopsychosozialen Modell. Ziel ist es, der jeweiligen Patientin dazu zu verhelfen, einen Entscheid zu fällen und den ihr richtig erscheinenden Weg einzuschlagen.

Eine weitere Aufgabe der Abteilung ist die Betreuung von Opfern von sexueller und häuslicher Gewalt. Neben der Erstversorgung nach dem Trauma beinhaltet diese auch Krisenintervention und Nachbetreuung.

Ambulante spezialisierte Leistungen

In der psychosomatischen Sprechstunde liegt der Schwerpunkt bei chronischen Beschwerden und Schmerzzuständen im Bereich der weiblichen Genitalorgane. Inhalt der Konsultationen ist das Erarbeiten eines gemeinsamen Krankheitskonzeptes und die Mobilisierung von Ressourcen und Coping-Strategien, wobei häufig kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen zum Einsatz kommen.

Eine weitere Aufgabe ist die Schwangerenbetreuung in psychosozial schwierigen Situationen, bei Drogenabhängigkeit und psychischer Belastung oder psychiatrischen Erkrankungen sowie die Begleitung von Schwangeren nach traumatisch erlebter Geburt, nach Spätabort und perinatalem Kindstod. Bei allen psychosozialen Problemsituationen findet eine enge Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst statt.

Bei den Konsultationen wegen sexuellen Problemen stehen Libidomangel, Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr) und Vaginismus (Scheidenkrampf) im Vordergrund. Je nach Schwere der Problematik finden Gespräche mit beratend-edukativem Charakter oder eine längerdauernde Sexualtherapie, z. T. unter Einbezug des Partners, statt. Darüber hinaus stehen die Ärztinnen und Ärzte der Abteilung aber auch für vorbeugende Massnahmen und die Behandlung von sexuellen Schwierigkeiten nach der Therapie von gynäkologischen Karzinomen, wie z.B. Vaginalstenosen (narbige Verengung der Scheide) zur Verfügung.

Ein neues Angebot ist zudem die interdisziplinäre Sprechstunde für Sexualmedizin, die den Rahmen bietet, um Patientinnen und Patienten, bei denen sich sexuelle Probleme z.B. im Zusammenhang mit neurologischen, urologischen oder orthopädischen Erkrankungen entwickeln, gemeinsam zu betreuen.

Eine wichtige Aufgabe der Abteilung ist die psychologische Betreuung von gynäkologisch-onkologischen Patientinnen. Sie ist fest in die interdisziplinären Angebote des Brust- und des Gynäkologischen Tumorzentrums des Universitätsspitals integriert. Das psychoonkologische Angebot umfasst Beratungen und Begleitungen in allen Krankheitsphasen der Betroffenen, sowie nach Wunsch und Indikation ihrer Partner und Kinder. Die Begleitung erfolgt sowohl ambulant als auch während eines stationären Aufenthaltes und es bestehen zum Teil auch Gruppenangebote.

Sowohl die interdisziplinäre Sprechstunde für Sexualmedizin wie auch die psycho-onkologische Betreuung von Karzinom-Patientinnen innerhalb des Brust- und Gynäkologischen Tumorzentrums stellen zwei Frauenklinik-übergreifende integrierte USB Dienstleistungen dar. Mit der gemeinsamen Kinder- und Jugendgynäkologie-Sprechstunde besteht zudem eine langjährige enge Zusammenarbeit der Abteilung mit dem UKBB.

Integrierte Dienstleistungen

Die Abteilung hat auch Querschnittsfunktionen, d.h. das Team stellt seine Dienste den einzelnen Kliniken und Abteilungen (Geburtshilfe, Gynäkologie, Reproduktionsmedizin / Endokrinologie, Ultraschall, Poliklinik) der Frauenklinik zur Verfügung. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Konsilien, gelegentlich aber auch um Angebote an die Abteilungsteams, wie die Nachbesprechungen einer besonders belastenden Betreuungssituation.

Der konsiliarische Beizug erfolgt bei hospitalisierten Schwangeren, z.B. mit Hyperemesis (Schwangerschaftsübelkeit) oder vorzeitiger Wehentätigkeit. Zudem wird den Frauen, bei welchen ein später Schwangerschaftsabbruch mittels Aborteinleitung erforderlich ist, Unterstützung angeboten. Im gynäkologischen Sektor erfolgt der Einsatz z. B. vor und nach operativen Eingriffen und bei chronischen Schmerzzuständen.

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