Editorial

Eigentlich möchte ich nichts über das Wort «eigentlich» schreiben. Eigentlich bin ich dessen überdrüssig, besonders dann, wenn es mir selber entschlüpft. Wie soeben.

Du verfolgst mich. Bin ich denn so unentschlossen und will ich «es» partout nicht auf den Punkt bringen?

Signalisiere ich damit, dass ich was auch immer im Grunde genommen nicht so gemeint habe? Eigentlich ja.

Viel Spass beim Aufspüren von «eigentlich» in dieser Ausgabe. Ein kleiner Tipp zum Abschluss: Ersetzen Sie das Unwort doch mal mit «genau genommen», «grundsätzlich», «letztlich» oder «streng genommen» und fühlen Sie den Unterschied.

Ihre Gina Hillbert

Pflegerisches Case Management

alle Fäden in einer Hand

Die Case Managerinnen Susanne Bröckel (rechts im Bild) und Patricia Kübler (links) im Gespräch mit Prof. Viola Heinzelmann, Leiterin und Chefärztin Frauenklinik (stehend) und Dr. Céline Montavon, Oberärztin.<br>

Die Case Managerinnen Susanne Bröckel (rechts im Bild) und Patricia Kübler (links) im Gespräch mit Prof. Viola Heinzelmann, Leiterin und Chefärztin Frauenklinik (stehend) und Dr. Céline Montavon, Oberärztin.

Immer wieder melden Patientinnen, dass sie sich nach dem Spitalaufenthalt ungenügend auf den neuen Alltag vorbereitet fühlen. Um diesem Bedürfnis gerecht zu werden, führte die Leitung der Frauenklinik im Dezember 2013 das pflegerische Case Management ein. Die Case Managerinnen dienen als Schnittstelle zwischen Patientinnen, deren Angehörigen und den internen und externen Behandlungsteams. Sie sorgen so für eine Prozesskontinuität von der Hospitalisationsplanung bis zur Entlassung aus der Frauenklinik.

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Susanne Bröckel, Case Managerin:

Susanne Bröckel ist diplomierte Pflegefachfrau und seit Dezember 2013 als Case Managerin in der Frauenklinik tätig. 2015 hat sie einen Nachdiplomkurs mit Schwerpunkt Case Managerin abgeschlossen.

Im folgenden veranschaulicht Susanne Bröckel ihre Tätigkeit als Case Managerin am Beispiel der Patientin Emma Münger*.

Emma Münger* ist 72 Jahre alt. Sie  lebt mit ihrem Ehemann in einer eigenen 4-Zimmer-Wohnung ohne  Fremdhilfe. Sie wurde zur Laparotomie (Öffnung der Bauchhöhle) bei  schwerwiegendem Verdacht auf Ovarial-Karzinom (Eierstockkrebs)  zugewiesen. Die Operation sollte in zwei Wochen stattfinden. Als Erstes  studierte ich ihre medizinischen Unterlagen. Mit der Krebsdiagnose  erfüllte Emma Münger bereits ein Einschlusskriterium ins Case  Management. Den Nebendiagnosen konnte ich entnehmen, dass Frau Münger  vor 5 Jahren unter einer Diskushernie (Bandscheibenvorfall) litt. Sie  wurde damals operiert. Seither leidet sie immer wieder unter starken  Rückenschmerzen und einer Schwäche im linken Bein, die zu einer  Gangunsicherheit führte. Ich überlegte mir, was für den Spitalaufenthalt  alles abzuklären ist, ob Verzögerungen aufgrund der Nebendiagnosen zu  erwarten sind und was ich mit Frau Münger schon vor dem ersten  persönlichen Kontakt in der präoperativen Sprechstunde klären muss.

*Name frei erfunden

images/Versuch_1.JPGimages/2.JPGNachdem ich mir ein Bild der Situation verschafft hatte, kontaktierte ich Frau Münger zu Hause für das telefonische Assessment. Sie war etwas überrascht, dass sich schon jemand vor dem Arzttermin bei ihr meldet und sie befragt. Ich erhob die Sozialanamnese und einen ersten Teil der ärztlichen Anamnese, die dann später von der Ärztin in der Sprechstunde noch verfeinert und ergänzt wird. Frau Münger machte sich Sorgen wegen der bevorstehenden Operation und der Diagnose. Zusätzlich beschäftigte sie auch ihr Rückenleiden. In Ihrer Wohnung ist sie gut eingerichtet mit einer speziellen Matratze und Lagerungshilfen. Sie befürchtet, dass die Bewegungseinschränkung nach der Operation ihre Rückenschmerzen noch verstärken wird. Ich besprach mit ihr, was für die Zeit im Spital dafür getan werden kann. 

Wichtig für mich ist schon beim ersten Telefonat, die Patientin über den zu erwartenden Verlauf der Genesung zu informieren und mit ihr zusammen zu überlegen, ob ein Austritt nach Hause realistisch ist. Bei Emma Münger handelte es sich um einen grossen Eingriff. Wegen ihrer Vorgeschichte war eine anschliessende Rehabilitation wahrscheinlich. Ich informierte sie darüber, damit sie dies bis zum nächsten Kontakt auch mit ihrem Ehemann besprechen konnte.

Vier Tage nach dem Telefonat kam Frau Münger in die präoperative Sprechstunde. Ich hatte schon zuvor anhand ihres Dossiers und in Absprache mit der Ärztin die Diagnostikunterlagen vorbereitet. Frau Münger wirkte aufgeregt, als sie kam. Sie war jedoch sichtlich erleichtert, als sie merkte, dass wir uns bereits vom Telefon her kannten und so kamen wir leicht ins Gespräch. Ich erhob die Pflegeanamnese und machte Risikoeinschätzungen zu Dekubitus und Mangelernährung. Ausserdem erhob ich Körpergrösse, Gewicht, Blutdruck und Puls und führte eine Blutentnahme durch. Zum Abschluss erklärte ich, was sie am Tag vor der Hospitalisation zu beachten hat: Nüchternphase, Hygiene- und Abführmassnahmen. Ich ging mit ihr das schriftliche Informationsmaterial durch und klärte ihre Fragen. Wir besprachen, wie der Eintrittstag, die Tage danach ablaufen und was sie bei Austritt erwartet. Da eine mögliche Verlegung in eine anschliessende Rehabilitationsklinik Zeit in Anspruch nimmt, besprachen wir das Thema noch einmal. Sie erzählte, dass ihr Mann zwar etwas skeptisch sei, ob das nötig ist, aber sie selbst würde eine Anschlussbehandlung bevorzugen. Mein provisorisches Austrittsziel lautet: Verlegung in eine Rehabilitation. Im Anschluss an unser Gespräch hatte die 72-jährige Patientin noch Termine mit der Gynäkologin und dem Anästhesisten.

Am Tag vor dem Eintritt instruierte ich die Pflegefachpersonen auf Station über Frau Münger. Wir organisierten eine speziell weiche Matratze und zusätzliche Kissen, so wie ich es mit Frau Münger vorbesprochen hatte. Ausserdem meldete ich bereits die Physiotherapie an, damit diese am ersten postoperativen Tag unmittelbar mit der Behandlung beginnen konnte. Die Patientendokumentation wurde mit den von mir erhobenen Informationen ergänzt, sodass die zuständige Pflegefachperson auf Station bereits bei Eintritt ein Bild der Patientin hatte.

images/5.JPGAm Eintrittstag machte ich eine Stippvisite, um Frau Münger alles Gute für die Operation zu wünschen. Anschliessend meldete ich die Rehabilitation an, da die Organisation einige Tage Vorlaufzeit erfordert.

Während der Hospitalisation stand ich mit Frau Münger immer wieder in Kontakt. Ich lernte auch ihren Ehemann kennen, der Fragen zu den Anschlussmöglichkeiten hatte. Nach einem gemeinsamen Gespräch sieht auch er den Nutzen für den Rehabilitationsaufenthalt seiner Frau.

Der Kontakt zum Behandlungsteam ist ebenfalls sehr wichtig. Ich bin bei allen Entscheidungen im Kontakt mit der zuständigen Pflegefachperson und der Ärztin. Sie arbeiten am engsten mit der Patientin zusammen und können am besten abschätzen, über welche körperlichen Möglichkeiten Frau Münger bei Austritt verfügen wird und welche Therapien erforderlich sein werden. Zusätzlich bin ich an den täglichen Pflegebesprechungen, den «grossen» Visiten und der wöchentlichen interprofessionellen Besprechung dabei. Dort bringe ich ein, was ich mit der Patientin besprochen habe. Wir überprüfen das Austrittsziel und legen den «Fahrplan» für den Austritt fest.

images/7.JPGimages/Wegweiser.JPGVier Tage nach der Anmeldung in der Rehabilitationsklinik meldete sich die Klinik bei mir. Die Kostengutsprache lag bereit und wir konnten einen konkreten Verlegungszeitpunkt vereinbaren. Ich informierte die Klinik über den Bedarf einer speziell weichen Matratze, zusätzlichen Kissen, den Nachsorgetermin zur Therapiebesprechung, den Zeitpunkt des Klammernentfernens und die Medikation.Mit dem Ehepaar Münger besprach ich danach den Transport in die Rehabilitationsklinik. Herrn Münger war es ein Anliegen, dass er seine Frau selbst fahren kann.

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Am Tag vor Austritt informierte ich Frau Münger nochmals über den Ablauf am Austrittstag und klärte ihre letzten Fragen. Für Fragen im Anschluss an die Hospitalisation erinnerte ich sie, dass sie mich gerne anrufen kann. Am Austrittstag schloss ich die Dokumentation von Emma Münger mit der Beurteilung zum Verlauf: «keine Verzögerungen».

«Mein Tätigkeitsfeld als Case Managerin ist sehr vielseitig und erfordert viel Flexibilität, da ich mich täglich in ganz unterschiedliche Patientinnensituationen hineinversetzen muss.»

Susanne Bröckel

Susanne Bröckel arbeitet in einem Team von drei Case Managerinnen. Um ihr Wissen fortlaufend weiterzuentwickeln, tauschen sie sich stetig aus. Regelmässig besprechen sie Situationen zur Überprüfung ihrer Tätigkeiten mit der Bereichsfachverantwortlichen oder der Fachverantwortlichen der Bettenstation. Dadurch erkennen die Case Managerinnen immer wieder Möglichkeiten, wie die Prozesssteuerung optimiert und die Betreuung der Patientinnen weiter verbessert werden kann.

Optimierung der Patientinnenversorgung durch eine gute Vorbereitung auf die Hospitalisation und die Zeit danach mit den Zielen Effizienz, Kontinuität, Verminderung der präoperativen Kontakte, der Hospitalisationsdauer und der Rehospitalisationen.

Die Patientinnen haben eine kontinuierliche Ansprechperson von ihrem ersten Kontakt im Spital bis zum Austritt inklusive in der ersten Phase daheim für Fragestellungen, die die Hospitalisation betreffen.

Die Patientinnen

  • erhalten zentrale Informationen in einer Form, die sie auch zu einem späteren Zeitpunkt nachlesen oder ihren Angehörigen zeigen können.
  • Haben mind. einen präoperativen Kontakt mit der Case Managerin (telefonisch od. persönlich)
  • Sind in den Behandlungs-Prozess eingebunden, so dass sie hinsichtlich Vorbereitung der Hospitalisation und der Zeit danach aktiv ihren Genesungsprozess unterstützen können.

Die Case Managerinnen entlasten das Pflege- und Ärzteteam durch die Übernahme von im Prozess definierten Aufgaben.

Die Case Managerinnen sind Ansprechpersonen für alle am Prozess beteiligten Personen, insbesondere Patientinnen und Angehörige, das interprofessionelle Team, Zuweiser und andere Institutionen wie Alters- und Pflegeheime.

Was hat sich durch das Case Management verändert?

Da sich alle zuerst an die neue Schnittstelle gewöhnen und sich die Zusammenarbeit einspielen musste, brachte der Start des Case Managements auch eine gewisse Unruhe mit sich. Mittlerweile hat sich die Zusammenarbeit eingespielt: Die Case Managerinnen entlasten die Behandlungsteams durch die Übernahme von administrativen Aufgaben und der Organisation von Anschlussbehandlungen, wodurch sich die Behandlungsteams vollständig auf die stationäre Behandlung konzentrieren können. Die abschliessenden Evaluationen ergaben, dass die Case Managerinnen gut vernetzt sind und auch als Ansprechperson und Schnittstelle wahrgenommen werden. Aber auch die Patientinnen erfahren einen Nutzen durch die Case Managerinnen: Sie haben eine Ansprechperson durch den gesamten Prozess, fühlen sich unterstützt und erleben einen reibungslosen Ablauf.

images/Blaeuer_Cornelia.jpgDas Projekt gewinnt

Die Bereichspflege Fachverantwortliche des Bereichs Spezialkliniken, Cornelia Bläuer gewinnt dieses Jahr den B. Braun Pflegepreis für ihre Arbeit zum Thema «Pflegerisches Case Management - Prozesskontinuität von der Hospitalisationsplanung bis zur Entlassung in einer Universitätsfrauenklinik».  Die Preisverleihung fand im Rahmen der careArt basel '15, am 10. Juni 2015 statt.

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