Editorial

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Ihre Gina Hillbert

Leben im Slum –

inmitten der Armen von Manila

Ich berichte aus Manila: 12 Millionen Menschen auf engstem Raum. Im Slum teile ich, Pflegefachfrau auf Station Medizin 5.1, für vier Monate das Leben mit Jugendlichen.

Was ich hier eigentlich mache? Ich bin nach Manila geflogen, im November, um für ein paar Monate mit den Strassenkindern zu leben.

Ich bin für Onesimo unterwegs. Das ist eine christliche Organisation, die Strassenkinder aufnimmt, ihnen eine Schulbildung oder auch einen Ausbildungsplatz bietet. Sie wohnen entweder in einem festen Center oder in einer Partnerkirche. Es sind junge Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen. Meine sieben Mädchen, bei denen ich wohne, sind zwischen 14 und 17 Jahre alt. Sie empfangen mich herzlich, ich darf mich einrichten bei ihnen, bekomme ein Bett und einen kleinen Schrank für mich selbst. Mein Zuhause für vier Monate liegt inmitten eines Slums. Es hat einen Slummarkt, kleine Stände in den Gassen, die ein Durchlaufen sehr schwierig machen. Aber es gibt dort alles: Fisch, Fleisch, Gemüse und Obst, Kleider, Haushaltswaren, kleine Apotheken und natürlich Stände, die fertige Mahlzeiten verkaufen, was hier sehr beliebt ist.

In unserem Center leben wir wie eine Familie. Es gibt eine Mama, das ist Julie Ann, 29 Jahre alt, Lehrerin. Seit einigen Jahren arbeitet sie schon hier, wohnt Tag und Nacht mit den Mädchen zusammen, ersetzt sozusagen Mama und Papa. Es gibt einen geordneten Tagesablauf und ich füge mich dort ein. Wichtig ist das gemeinsame Essen. Es gibt häufig Reis. Sehr, sehr oft – manchmal auch zum Frühstück. Das Billigste sind Fisch und Poulet. Seit ich da bin, gibt es auch mehr Gemüse – und beim neuen Essensplan haben sie sich sogar darauf geeinigt, dass es nur mittags Fleisch gibt und abends viel gesundes Gemüse.

Das Haus muss sehr sauber gehalten werden, allein schon wegen der Kakerlaken, Ameisen und Ratten.

Von meinen sieben Mädchen können nur zwei einigermassen gutes Englisch. Wir müssen manchmal Hände und Füsse nehmen, um uns zu verständigen. Aber nach ein paar Wochen verstehe ich ganz gut Tagalog, ihre Landessprache, sodass ich zwar nicht weiss, was sie genau sagen, aber immerhin, worum sich das Gespräch dreht. Sie haben viel Spass, mir Wörter und Sätze beizubringen. Die Jugendlichen haben fast jeden Tag ein paar Stunden Schule. Das ist für viele eine Herausforderung, da wenige von ihnen regelmässig die Schule besuchten, bevor sie in unser Center gekommen sind. Ich unterrichte nun jeden Donnerstag. Habe eine Weltkarte besorgt, und sonst kenne ich mich ja in Erster Hilfe auch gut aus. Lernstoff gibt es jedenfalls genug.

Ich bin schon das dritte Mal in den Slums von Manila, aber das erste Mal für so lange. Die Mädchen erzählen mir ihre Lebensgeschichten. Die meisten haben in der Familie gröbste Gewalt erfahren, körperliche, sexuelle. Wenn sie so etwas erleben, reissen sie von zu Hause aus, da ein Leben auf der Strasse immer noch sicherer erscheint.

Aber das Leben auf der Strasse ist sehr hart. Um zu überleben, müssen sie stehlen oder sich für Sex verkaufen. Viele trinken Alkohol und schnüffeln Leim oder eine Art billiges Kokain. Das stoppt den Hunger und wirkt gegen Hoffnungslosigkeit. In unserem Center geben wir den traumatisierten Mädchen die Möglichkeit, wieder Boden unter den Füssen zu bekommen, einen strukturierten Alltag zu erleben. Die Familien werden soweit möglich miteinbezogen. Es gibt Familien-Spass-Tage, an denen Spiele gemacht werden oder die ganze Gruppe (oft über 500 Personen) in einen Park fährt. Es gibt auch Familienferien, die in einem Camp am Strand stattfinden, um die Beziehungen zwischen Kindern und Eltern wiederherzustellen.

Die Teenager und jungen Erwachsenen bleiben zwei bis drei Jahre bei Onesimo, je nach Familiensituation. Sie können hier in einem alternativen Lernsystem ihren Highschool-Abschluss machen, um dann weiter aufs College zu gehen und einen Beruf zu lernen. Das College wird von der Organisation noch zwei Jahre lang finanziert, danach müssen die Jugendlichen selbst Geld verdienen, um weitermachen zu können. In unserer Schule haben sie die Möglichkeit, Kochen, Backen, Nähen, Haushalten, Motoren Reparieren, Schweissen oder Schreinern zu lernen.

«Was machst du eigentlich in Manila? Wobei hilfst du genau?», haben mich viele gefragt. Zu Hause im USB bin ich Pflegende und Reanimationsausbildnerin. Hier in Manila versuche ich, in meinen Mädchen etwas Lebensfreude zu wecken, Reanimation auf eine andere Art. Ich bin für sie da, kümmere mich um sie und teile mit ihnen das Leben. Man merkt, dass ihnen die Aufmerksamkeit guttut.

Ich bin hier in den Slums, um diesen jungen Menschen ein Gegenüber zu sein, um ihnen zu zeigen, dass sie wertvoll sind und Respekt verdienen, wie jeder andere Mensch auf dieser Welt auch. Ich möchte mein Leben nicht nur für mich selber leben, sondern es teilen.

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