Editorial

Bis zu 30 Grad Celsius: minus oder plus?

Gehe ich recht in der Annahme, dass wir jeweils ab dem 21. Juni von «Sommer» reden? Das Thema mag für mein Editorial banal sein, aber es beschäftigt mich als etwas kritischen Sprachmenschen punktuell doch sehr. Während der Entstehung der Sommerausgabe der Gazzetta stehen wir noch mitten im Frühling, aber überall ist zu hören und zu lesen: «Der Sommer kehrt zurück.» Ja, wo war er denn vorher? Hat er sich etwa frech eingenistet im Frühling? Und dieser konnte ihn nicht daran hindern, auszubrechen? Welche Naturgewalt auch immer dahinterstecken möge, egal, ob es noch einmal Schnee gegeben hat oder gar Sahara-Sand über die Lande gefegt ist, heute, an meinem Editorial-Schreibtag, ist laut Kalender immer noch Frühling. Punkt.

Und wissen Sie was? Ich missachte für einmal die Jahreszeiten, bin so frei und bringe aus voller Überzeugung in der Sommer-Gazzetta ein abkühlendes Bild. Damit liege ich voll im Trend. Sommerausgabe mit dem kältesten Bild der Welt: Nordpol, bis minus 35 Grad Celsius. Eine Ärztin und ein Arzt aus dem USB mit einer äusserst erwärmenden Geste. Alle, die vielleicht gerade in diesem Lesemoment heisse Celsius-Grade erdulden müssen, springen bitte direkt auf Seite 24, am besten noch mit einem eisgekühlten Getränk in Reichweite. Folglich wünsche ich Ihnen angenehme Lektüre bei für Sie wohltuenden Temperaturen – nicht zu heiss, nicht zu kalt – und einen Sommer, der sich dann nicht bereits in den Herbst verabschiedet hat.


Ihre Gina Hillbert


Ein Chor,

der die Herzen singen lässt

Musik tut Körper und Seele gut. Aber kann Singen auch die Atemkraft erhöhen und dadurch die Lebensqualität von Herzpatientinnen und -patienten entscheidend verbessern? Das will eine medizinische Studie von PD Dr. Daniel Tobler und Dr. Cornelia Ganzoni, Kardiologie, am Universitätsspital Basel überprüfen – entstanden ist daraus ein Herzchor. Da singen Menschen mit Herzerkrankungen gemeinsam mit Sängerinnen und Sängern aus sechzehn verschiedenen Formationen für wissenschaftliche Erkenntnisse und einen guten Zweck.

«Haben uns gut entwickelt.» Chorleiterin Jenny Högström.

Am Anfang dieser aussergewöhnlichen Geschichte steht eine aussergewöhnliche Patientin. Jenny Högström kam vor acht Jahren aus Schweden nach Basel, um hier zu studieren. Sie hat aus dem Norden nicht nur ihre Liebe zur Musik und ihren Wunsch, professionelle Musikerin zu werden, mitgenommen; sie ist auch mit einem angeborenen Herzfehler in die Schweiz gereist. Dieser führte sie ins Universitätsspital Basel. Dort war sie eine wissenschaftliche Entdeckung: «Bei einer Untersuchung ist mir und Dr. Tobler aufgefallen, wie fit sie ist», sagt Cornelia Ganzoni, Assistenzärztin in der Kardiologie.

Jenny Högströms Atemkapazität war so bemerkenswert gut, dass sie Rätsel aufgab. Einen möglichen Grund fanden die Ärzte im Gespräch mit ihr: Liegt es daran, dass Jenny Högström schon ihr ganzes Leben lang singt und dabei ihre Atemtechnik trainiert hat? Diese Frage wollten Daniel Tobler und Cornelia Ganzoni in einer Studie klären. Sie gründeten deshalb einen eigenen Chor, der von Jenny Högström geleitet wird.

«Der Herzchor ist entstanden, um den Einfluss von Atemmuskeltraining und Singen auf die Atemmuskelkraft und die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten zu untersuchen.»

Cornelia Ganzoni, Assistenzärztin Kardiologie

«Der Herzchor ist entstanden, um den Einfluss von Atemmuskeltraining und Singen auf die Atemmuskelkraft und die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten zu untersuchen», sagt Cornelia Ganzoni. Seit Anfang April 2018 ist das Ergebnis dieser Forschungsfrage jeden Montag an der Gellertstrasse in Basel physisch erlebbar. Wenn es dort Abend wird und die Trainingsgeräte in der ambulanten kardiovaskulären Rehabilitation (KARAMBA) des Universitätsspitals Basel ruhen, dann werden rasch Stühle zu einem Halbkreis zusammengerückt und es wird das Keyboard aufgestellt.

Wo sonst bei der Rehabilitation für Herzen geschwitzt wird, wird für einmal aus voller Kehle gesungen. Vorne greift Jenny Högström dazu leidenschaftlich in die Tasten. 24 ganz unterschiedliche Herzpatientinnen und -patienten, die am USB behandelt werden, haben sich bereit erklärt, mitzumachen. Ihnen macht es offensichtlich Freude, auch wenn für manchen das Mitmachen in einem Chor ein Schritt ins Ungewisse war.


Die Hälfte der Patientengruppe macht neben den Chortrainings jeden Tag zu Hause Atemübungen und singt, die andere, die sogenannte Kontrollgruppe, lässt dies aus. Für die Studie werden beide Gruppen miteinander verglichen. Als die Idee des Projektchors geboren war, haben die Kardiologen zahlreiche, bereits bestehende Chöre in der Region Basel angeschrieben. Die Idee war, dass das Musizieren mit gestandenen Sängerinnen und Sängern mehr Freude machen würde. «Wir haben ein sehr positives Echo erhalten, die Solidarität ist riesig», freut sich Cornelia Ganzoni. Von 16 Chören aus der Region ist Unterstützung gekommen, sodass der Herzchor 60 Personen stark ist. «Die Mithilfe ist eine Inspiration und gibt den Chorneulingen viel Selbstvertrauen», ist sich auch Chorleiterin Jenny Högström sicher.

Neuer Art der Rehabilitation?

Anfang April startete das Projekt des Herzchors für drei Monate. Gesungen wird, was Freude macht, von ABBA bis Graubünden. Mit dabei ist auch ein schwedisches Lied, das die Sopranistin und Chorleiterin aus der Heimat ins Repertoire eingebaut hat. «Die kurze Zeit ist eine Herausforderung, aber wir haben uns sehr gut entwickelt», findet Jenny Högström. Der Höhepunkt war zum Abschluss Ende Juni ein Benefizkonzert in der Elisabethenkirche, wo Spenden für den Verein herznetz.ch gesammelt wurden, der sich für Menschen mit angeborenen Herzfehlern stark macht.

Anschliessend hoffen Daniel Tobler und Cornelia Ganzoni ihre Forschungsfrage beantworten zu können. Hilft Singen nicht nur dem Gemüt auf positive Art und Weise, sondern verbessert sogar nachweislich die Kurzatmigkeit von Herzpatientinnen und -patienten, dann wäre eine neue Art der Rehabilitation möglich. «Der Vorteil liegt auf der Hand: Singen ist kostenlos, jeder kann es machen und es verbessert auf einfache Weise die Lebensqualität», sagt Daniel Tobler, Oberarzt und Leiter angeborene Herzfehler am USB.

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