Editorial

Auf der Suche nach dem roten Faden

Dieser Ausdruck kommt aus dem Bereich des Webens, wo man keinen Faden verlieren durfte. «Seit alter Zeit wird das Erzählen mit der Textilherstellung und -bearbeitung assoziiert, weil das Weben Zeit zum episch breiten Darstellen und Wiedergeben von Sachverhalten bot.» (Wiki) Aha! Text und «textil» sind folglich eng miteinander verwoben.

Und schon habe ich den (roten) Faden dieser Gazzetta-Ausgabe gefunden: Erzählungen und Geschichten zum Leben, das am seidenen Faden hängen kann, zu scheinbaren Zufällen und zu geflochtenen Bildern über Schmerzen, Wunden und Verwundung. Beiträge, die zeigen: Man soll den Faden immer wieder aufnehmen, auch wenn man zeitweise glaubt, ihn verloren zu haben.

Aber bevor Ihnen der Geduldsfaden reisst und ich zu langfädig werde, beende ich mein Editorial und lasse Sie gerne eintauchen in das neue Textgeflecht.


Ihre Gina Hillbert

Nathalie und Natalia –

Pflegen und gepflegt werden

Nathalie Basler ist Pflegefachfrau im Zellersatzambulatorium. Natalia S. ist Patientin des Zentrums für Stammzelltransplantation. Was verbindet die beiden Frauen mit den gleichlautenden Vornamen? Eine Beziehungsskizze zwischen Patientin und Pflegefachfrau.

«Ich war ganz überrascht, dass mich Natalia S. als eine für sie wichtige Bezugsperson im Unispital bezeichnete», meint Nathalie Basler, als wir uns zum Gespräch treffen. Ich möchte von der aufgeweckten Pflegefachfrau mit dem sympathischen französischen Akzent wissen, was ihr das bedeutet.

Blicken wir zunächst kurz auf ihre Namensvetterin, auf Natalia S.: Vor drei Jahren erhielt die heute 31-Jährige die niederschmetternde Diagnose: akute lymphatische Leukämie. Es folgen Chemotherapien, die aber nicht ausreichen, um gesund zu werden. Schliesslich werden Natalia S. blutbildende Stammzellen transplantiert. Eine besonders heikle Phase steht ihr bevor. An die Erstbegegnung mit Natalia kann sich die Pflegefachfrau Nathalie Basler erinnern: «Es war in meiner ersten Zeit im Unispital. Ich assistierte dem Arzt bei der Knochenmarkpunktion. Ich war, ehrlich gesagt, etwas angespannt, aber als Professor Passweg während der Behandlung eine Geschichte erzählte, liess die Spannung bei mir und natürlich auch bei der Patientin nach.»

Die Patientin, Natalia S., lebt in der Französisch sprechenden Schweiz. Die Pflegende ist im Elsass beheimatet: «Dass wir die gleiche Sprache sprechen, hat wohl auch damit zu tun, dass Natalia S. mich als Bezugsperson nennt.»

Wir befinden uns in einem Teil des Unispitals, wo Patienten, die an Blutkrebs leiden, behandelt werden. Den geduldig Wartenden ist meist anzusehen, dass sie einen schweren Kampf austragen. Als Nathalie Basler vor drei Jahren ihre Arbeit im Zellersatzambulatorium aufgenommen hatte, war dies kein leichter Einstieg. Anders als zuvor in der Akutgeriatrie eines Spitals in Mulhouse erlebt sie nun im USB das Sterben auch jüngerer Menschen. «Wenn wir am Morgenrapport erfahren, dass ein Patient in der Nacht gestorben ist, kann es passieren, dass uns Tränen in die Augen steigen.» Mit diesen Situationen umzugehen, sei bis heute nicht einfach für sie, erwähnt Nathalie mehrfach:

«Ich kann nach Dienstschluss nicht einfach in die Garderobe gehen, meine Kleidung wechseln und alles ausblenden. Ich bin kein Roboter.»

Die Pflegefachfrau arbeitet seit drei Jahren auf der Hämatologie und hat viele Erfahrungen machen können, die sie lehrten, eine für sie gute Balance zwischen Nähe und Distanz zu den Patienten zu entwickeln. «Ich weiss, wann es für mich schwierigwird und halte mich beispielsweise von der Isolierstation fern. Denn wenn die Patienten dort sind, geht es ihnen physisch und psychisch ziemlich schlecht. Die Patienten wollen auch nicht, dass wir sie in diesem Zustand sehen. Ausserdem bleibe ich strikt beim Sie.» Nathalie sagt ganz deutlich, dass sie darauf achtet, nicht zu viel Nähe zu entwickeln und begründet dies so: «Wenn ich erlebe, dass es einem Patienten wieder schlechter geht, dann geht mir das nahe. Es gehört jedoch zu meinem Beruf, mit schwierigen Situationen umzugehen. Ich sage mir immer: Die Patienten brauchen unsere Kraft. Wenn ich meine Emotionen nicht im Griff haben würde, könnte ich nicht als Pflegende arbeiten.»

Natalia S. ist eine Patientin von vielen auf der Hämatologie, und doch ist die Situation der jungen Frau eine besondere: Sie ist allein. Die Familie kann ihr in der schwersten Krankheitsphase nur selten beistehen. «Man muss einen starken Charakter haben, um dies zu ertragen», sagt Nathalie voller Bewunderung für «ihre» Patientin. Und ja, sie verstehen sich gut, nicht nur weil sie dieselbe Sprache sprechen oder den gleichen Namen tragen.

Der Weg von Natalia S. führt weiterhin ins Unispital zur Behandlung. Obwohl die Therapie auch eine Tortur sei, fahre sie gerne nach Basel. Sie habe sich immer wohlgefühlt unter den Menschen, die dort arbeiten. Man scherzt zwischendurch, unterhält sich übers Wetter oder erzählt sich sogar Witziges. «Wenn ich erleben darf, dass einst schwer kranke Patienten wieder eine Lebenschance bekommen, wie auch Natalia S., dann freue ich mich sehr darüber. Wenn Natalia S. zur Photopherese (eine Art Blutwäsche) kommt, erkundige ich mich, wie es mit ihrer Ausbildung oder der Arbeit geht, welche Aktivitäten jetzt wieder möglich sind. Wir reden dann über ganz allgemeine Dinge.»

Nathalie Basler zieht ihre Grenze dort, wo es ihr zu persönlich, zu nahe wird:

«Man kann nicht pflegen, wenn man zu emotional ist. Patientennähe und Patientenkontakt gehören einfach zu unserem Beruf. Selbstverständlich gehen einem die Patientengeschichten nahe, vor allem wenn man Patienten über längere Zeit begleitet. Die Balance zu halten zwischen Nähe und Distanz ist für mich immer wieder eine neue Aufgabe. Es ist oft nicht einfach.»

Hat sich Nathalie Baslers Lebenseinstellung verändert? «Was die meisten Patienten sagen: Leben Sie heute, verschieben Sie nichts auf morgen. Man weiss nicht, was morgen ist. Ich versuche, mich daran zu halten und meine Träume zu leben.» Natalia S. bezeichnet Nathalie Basler als eine für sie wichtige Bezugsperson. Nathalie war zunächst überrascht, das zu vernehmen. Aber im Verlauf des Gesprächs wurde ihr immer mehr bewusst, was einer Patientin Patientennähe bedeutet.


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