Editorial

Ich bin dann mal weg.

Nein, ich begehe keinen Pilgerweg, so wie es der Schöpfer dieses genialen Buchtitels getan hat, sondern verlasse diese Gazzetta-Ausgabe mittendrin für ein Verweilen in einer ganz anderen Welt. Loslassen ist nicht immer einfach. Das Pflichtbewusstsein weiss genau, wann es sich wieder melden muss. In dieser Stimmung begab sich auch das Team Tabora zum Einsatz in ein abgelegenes Gebiet Tansanias, um innert 14 Tagen 350 Kindern auf die Welt zu helfen. Welch‘ geburtshilfliches Kontrastprogramm! Aber lesen Sie selbst. Unsere berührende Titelgeschichte kann und darf einen nicht kalt lassen.

Für das neue Jahr möge Sie folgender Gedanke begleiten: Wenn wir gehen, um anzukommen, dann sind wir auf dem richtigen Weg.

Ihnen allen (Be)rührendes und (Er)wärmendes wünschend

Ihre Gina Hillbert

Jambo* in Tabora

Medizinische Unterstützung dringend gebraucht

Ein interprofessionelles Team aus dem USB sorgt mit seinen Einsätzen im Kitete Regional Referral Hospital in Tabora, einem abgelegenen Gebiet Tansanias, für menschenwürdigere Bedingungen. Ziel ist es, das Projekt langfristig auszurichten.

Das Tabora-Team vor Ort

Im März 2016 waren wir in Tabora: die Hebammenexpertin Martina Gisin, die Hebamme Danielle Barth, Prof. Irène Hösli (Chefärztin Geburtshilfe), Dr. André Kind (Stv. Chefarzt Gynäkologie) und der Medizintechniker Manfred Stephan. Am USB initiiert wurde das Projekt von André Kind, der sich im November 2015 aufgrund einer Anfrage des Swiss Surgical Teams auf die Reise begeben hatte, um sich ein Bild der Situation vor Ort zu machen. Grund war ein Hilferuf des Kitete Regional Referral Hospitals. Dringend gebraucht: Gynäkologen, Hebammen und Geburtshelfer!

Was wir antreffen

Wir sind in Tabora, einer abgelegenen Stadt im Nordwesten Tansanias mit 226’000 Einwohnern. Auch hier herrscht – wie überall in Tansania – akuter Ärztemangel. Unser Einsatzort, das Kitete Regional Referral Hospital, ist Referenz- und Überweisungsspital mit einem Einzugsgebiet von 2,3 Mio. Menschen. Das Gesamtspital verfügt über 315 Betten und fast alle Fachbereiche. Neben einigen Gebäuden aus der Kolonialzeit sind wenige neu errichtet worden. Eines davon ist die Intensivstation. Diese ist jedoch keinesfalls mit dem Standard bei uns zu vergleichen. Ausser Betten, einem elektrischen Blutdruckmessgerät und einem Sauerstoffkonzentrator gibt es hier nichts. Zudem funktionieren die vorhandenen Geräte nur mit Strom, und den gibt es die Hälfte der Zeit nicht.

Der Operationstrakt des Gesamtspitals wurde im Jahr 2015 renoviert und ist von den Räumlichkeiten her akzeptabel. Die Ausrüstung ist allerdings in einem sehr desolaten Zustand. Die Operationstische lassen sich nicht mehr verstellen, sie sind rostig und instabil. Das Instrumentarium ist oft defekt, die Scheren stumpf und weit davon entfernt, unseren Wünschen zu entsprechen.

HIV und andere Infektionen sind überall in Afrika ein grosses Problem. Die HIVRate in Tabora ist für tansanische Verhältnisse mit 5% sehr niedrig. Dies ist der isolierten Lage Taboras zuzuschreiben. Andere Infektionen wie Malaria hingegen sind häufig.

Bis 25 Geburten täglich – 6’500 im Jahr

Der Gebärsaal im Kitete Regional Referral Hospital besteht aus sechs engen Kabinen, in welchen eine verrostete Liege mit zerrissenem Plastiküberzug knapp Platz hat.

Die Frauen warten vor dem Gebäude oder auf der überfüllten vorgeburtlichen Abteilung so lange in Wehen, bis sie Pressdrang verspüren.

Zeit für eine Anamnese oder vorgeburtliche Kontrolle der Schwangeren oder des Kindes gibt es kaum. Zur Geburt gehen die Frauen in den Gebärsaal, breiten ein selbst mitgebrachtes Tuch aus und bringen ihr Kind oder – oft bis zu diesem Zeitpunkt nicht erkannt – Zwillinge auf die Welt. Die Hebamme nabelt das Kind ab und verabreicht der Frau vorbeugend Oxytocin, ein Medikament zur rascheren Lösung des Mutterkuchens und Vermeidung vermehrter Blutungen. Anschliessend reinigt die frisch gewordene Mutter ihre Liege sowie den Fussboden, wickelt das Kind in ein weiteres selbst mitgebrachtes Tuch und geht mit ihm für knapp 24 Stunden auf die Wochenbettstation.

Grund für diese Situation: zu geringe Besetzung mit Hebammen. Pro Schicht müssen die drei bis vier Hebammen neben dem Gebärsaal die vorgeburtliche Station, die Wochenbettstation und die Frauen nach Kaiserschnitt betreuen. Auf der geburtshilflichen Station teilen sich jeweils zwei Mütter mit ihren Neugeborenen ein Bett. Für über 100 Frauen gibt es zwei Toiletten ohne funktionierende Spülung.

Ärztemangel und weitere Nöte

In Tansania herrscht Ärztemangel. So gibt es in Tabora keinen Facharzt für Gynäkologie/Geburtshilfe, lediglich Ärzte, welche zwei bis drei Jahre nach dem Studium nach Tabora versetzt worden sind. Die Hauptarbeit leisten Assistant Medical Officers, welche sich nach einer dreijährigen Pflegeausbildung drei zusätzliche Jahre weiterbilden und danach sämtliche ärztlichen Aufgaben inklusive Operieren übernehmen. Zwar fehlen ihnen grundlegende theoretische Kenntnisse, jedoch sind sie wegen der hohen Patientinnenzahl erfahren und manuell geschickt. Auch gibt es nur wenige ausgebildete Hebammen und Pflegefachpersonen.

Es gibt viel für uns zu tun

Leider erfüllt das Kitete Regional Referral Hospital seine wichtige Versorgungsaufgabe, die weit über die der Grundversorgung hinausgehen sollte, weder in der Geburtshilfe noch in der Gynäkologie, da das fachliche Wissen fehlt. In der Gynäkologie werden vor allem Notfallpatientinnen gesehen, welche meist erst ins Spital kommen, wenn die Schmerzen unerträglich sind, wie zum Beispiel bei einer geplatzten Eileiterschwangerschaft. Patientinnen mit Krebserkrankungen oder komplizierten gutartigen Erkrankungen müssen auf das Zentralspital in Mwanza, welches vier bis sechs Stunden Autofahrt entfernt ist, ausweichen oder, wenn sie die finanziellen Möglichkeiten haben, auf ein ca. zwei Stunden entferntes Privatspital. Die anderen Patientinnen bleiben meist in ihren Dörfern und versterben oft ohne Diagnose und Therapie.

Als Team sind wir im Dauereinsatz – bei bis zu 25 Geburten pro Tag! Für die wichtigste Aufgabe bleibt dennoch Zeit: das Lehren. Wir trainieren mit dem Personal «hands on» mit einem einfachen Geburtssimulator «Mamma Natalie» sowie geburtshilfliche Notfälle wie z.B. die nachgeburtliche Blutung, eine der häufigsten Todesursachen junger Mütter in Afrika. Auch im Kitete Regional Referral Hospital sind im vergangenen Jahr 25 Frauen nach der Geburt verstorben. Die meisten davon an Blutungen nach der Geburt. Wir führen die Geburt mithilfe der Saugglocke ein. Dadurch gelingt es, bei einem akuten Sauerstoffmangel, eine der Haupttodesursachen bei Neugeborenen, die Geburt schneller zu beenden und damit die Kindersterblichkeit zu reduzieren. Bei unserem nächsten Einsatz in Tabora wird ein Training in Neugeborenen-Reanimation stattfinden, da erstmals eine Neonatologie-Pflegefachfrau des UKBB mitkommen wird.

In der Gynäkologie wurden erste theoretische Unterrichtseinheiten sowie gemeinsame Operationen durchgeführt. Aber oft muss noch ein Schritt vorher begonnen werden: bei den Grundlagen der Hygiene. Essenziell ist auch die Unterstützung vor Ort durch unsere Medizintechniker, Manfred Stephan, und im Einsatz vom November 2016 Volker Brunner. Beide sind sehr erfahrene Allrounder. Manfred Stephan hat vor Ort bereits tolle Erfolge erzielt und die wenigen vorhandenen elektrischen Geräte wieder instand setzen können.

Hoffnungsvoller Ausblick

Wir haben uns das Ziel gesetzt, das Tabora-Projekt zusammen mit dem Swiss Surgical Team langfristig (10 bis 15 Jahre) auf- und auszubauen. Bisher sind zweimal jährlich jeweils zweiwöchige Arbeitsaufenthalte mit Mitarbeitenden der Pflege, Geburtshilfe, Gynäkologie, Medizintechnik, Neonatologie und anderen Fachbereichen geplant. Hebammen sollen zweimal pro Jahr für jeweils vier Wochen in Tabora sein.

Aktuell sammeln wir Spenden, um durch einfache bauliche Massnahmen ein menschenwürdigeres Umfeld für die Gebärenden zu schaffen und die Strom- und Wasserversorgung zu sichern. Weiter in Planung ist unter anderem eine Verbesserung der Ausrüstung inkl. Ultraschallgerät mit der entsprechenden Ausbildung.

Am Unispital Basel und in der ganzen Schweiz gibt es in der Entwicklungszusammenarbeit unglaublich viel Erfahrung und Wissen. Durch eine enge Verknüpfung mit verschiedenen Partnern in der Schweiz und in Tansania möchten wir ein dichtes Netzwerk zum Austausch und zur Zusammenarbeit aufbauen. Wir stehen bereits in engem Kontakt mit dem Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel und unserer Infektiologie, welche ebenfalls in Tansania seit Längerem wertvolle medizinische Unterstützung leisten.

«Ein Boot kommt nicht voran, wenn jeder auf seine Art rudert.»
Sprichwort aus Tansania

Um die Zukunft des Projekts zu sichern, sind wir auf Spenden angewiesen:
IBAN CH76 0077 0016 0477 3360 9
Vermerk: FO135501


Downloads


Kommentare (0)

Keine Kommentare zu diesem Artikel vorhanden. Sei die/der Erste, der diesen Artikel kommentiert.



Keine Ausgabe verpassen –
Erinnerungsservice abonnieren!